Rückblick auf ein Vierteljahrhundert Autonomes Frauenzentrum Potsdam

Mit der Überschrift „Nicht gegen Männer“ signalisiert die Unabhängige Initiative Potsdamer Frauen 1990 auf dem Flugblatt, dass sich der Kampf um Frauenrechte nicht zwangsläufig gegen Männer richtet. Die Gruppe ist Teil des im Dezember 1989 gegründeten Unabhängigen Frauenverbandes, der als ostdeutscher Dachverband von Fraueninitiativen zu den Volkskammerwahlen 1990 antritt. Bildrechte: Jeanette Toussaint

Zu einem „Unabhängigen Frauentreffen“ laden Ende 1989 Gemeindepädagogikstudentinnen in Potsdamer Tageszeitungen und auf Flugblättern ein. Es soll am 10. Dezember in ihrer Ausbildungsstätte in der damaligen Johannes-Dieckmann-Allee stattfinden: „Dieses Treffen ist eine Möglichkeit, daß wir Frauen aus der Vereinzelung herauskommen, uns gegenseitig stärken, um dadurch Fraueninteressen in der Gesellschaft wirksamer vertreten zu können. Für diesen Sonntag kleine, wichtige Schritte: kennenlernen, zuhören, verabreden, informieren und natürlich Kaffee trinken.“ So klein sind die nächsten Schritte dann nicht. Bereits am 18. Dezember 1989 rufen sie zur Gründung der Unabhängigen Initiative Potsdamer Frauen auf. Sie wollen die umfassende rechtliche, soziale und individuelle Gleichstellung von Frauen durchsetzen, heißt es in der Grundsatzerklärung. Als Erfahrungshorizont bringen sie ihre DDR-Vergangenheit ein: Es gab zwar bessere Rechtsgrundlagen für Gleichberechtigung, doch erwiesen sich die alten Rollenmuster als stabil. Seit dem Mauerfall verändert sich die Gesellschaft rasant, Frauenrechte drohen unterzugehen. Errungenschaften aus der DDR wie Kindertagesbetreuung und Schwangerschaftsabbruch ohne Zwangsberatung kommen auf den Prüfstein, müssen verteidigt werden. Die Gründerinnen fordern unter anderem höhere Gehälter für frauentypische Berufe und die Gleichstellung von unehelichen und gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Der Zulauf ist groß. Bis April 1990 verzeichnet die Unabhängige Fraueninitiative rund 150 Mitglieder aus allen Alters- und Berufsgruppen.

Sehr schnell finden sich unter ihrem Dach Arbeitsgruppen zusammen, darunter eine für das künftige Frauenzentrum. Bereits Ende Dezember 1989 bemüht sich diese Initiative bei der städtischen Arbeitsgruppe Häuservergabe um ein Gebäude: Entstehen soll ein Treffpunkt für Frauen, ein Ort, an dem sie sich ihrer Stärken bewusst werden und Selbstsicherheit trainieren können, ein Beratungs-, Kultur- und Bildungszentrum mit Café, Bibliothek und einer Notwohnung als Anlaufpunkt. Geplant ist auch ein zweites Haus für Frauen, die vor häuslicher Gewalt fliehen müssen und vorübergehend Unterkunft benötigen. Der Traum von zwei getrennten Gebäuden erfüllt sich allerdings erst 2011.

Zweites Treffen der Unabhängigen Initiative Potsdamer Frauen am 28. Januar 1990 im Klub der Künstler und Architekten „Eduard Claudius“ in der heutigen Schloßstraße 14, in der Mitte mit Schild: Gisela Opitz, Leiterin der Gruppe Rentenrecht und ab 1990 im Vorstand des Frauenzentrums. Bildrechte: Jeanette Toussaint; Foto: Bernd Gurlt

 

Die Gründung des Vereins Autonomes Frauenzentrum findet am 23. April 1990 statt. Der Eintrag ins Vereinsregister mutet symbolisch an: 8. Mai – bis 1989 in der DDR als Tag der Befreiung gefeiert. Der Schritt bildet für die künftige Arbeit eine wichtige juristische Basis, führt jedoch in der Unabhängigen Fraueninitiative zu Irritationen. Will sich das Frauenzentrum abspalten? Hinzu kommt der Verdacht, einige aus der Arbeitsgruppe Frauenzentrum hätten früher Kontakt zum Ministerium für Staatssicherheit gehabt – zu dieser Zeit kein ungewöhnlicher Vorwurf, der aber noch nicht überprüfbar ist. Zur Kontrolle entsendet die Initiative aus ihrer Mitte zwei Frauen in den Vorstand. Noch im selben Monat erhält der Verein die denkmalgeschützte Villa in der Zeppelinstraße 189, damals noch Leninallee, 1843 von Friedrich Ludwig Persius für den Stallmeister Gottlieb Brandt entworfen und zuletzt als Diabetikerzentrale genutzt. Der Mietvertrag läuft über ein Jahr. Der Sanierungsbedarf ist hoch. Das vorhandene Nutzungskonzept wird verfeinert. Anregungen holen sich die Frauen unter anderem in einer Westberliner Selbsthilfe-, Kontakt- und Informationsstelle, im Kreuzberger Frauenzentrum und im Frauencafé „Futura“ am Mexikoplatz.

Der Verein beantragt erste Stellen über die neu eingeführten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM), die regelmäßig verlängert werden müssen und eine unsichere personelle Basis darstellen. Praktikantinnen kommen und gehen über die Jahre. Projektbezogen werden Frauen über immer wieder neu eingeführte Arbeitsförderungsmaßnahmen angestellt. Erst ab Oktober 1993 finanziert das brandenburgische Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen dreieinhalb Personalstellen.

Viele Frauen, Kooperationspartner und Sponsoren haben mit Ideen, Durchhaltevermögen, Zeit und Geld zur Existenz des Frauenzentrums beigetragen. Ebenso die – wenn auch schwankende – finanzielle Bezuschussung durch Landesministerien, insbesondere durch das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie. Sehr früh schaffen es die Frauen, die Stadtverwaltung Potsdam von der Bedeutung der Einrichtung zu überzeugen: mit Hartnäckigkeit und geballter Power. Sie beteiligen sich offensiv an politischen Diskussionen, stellen Forderungen, initiieren Demonstrationen, wenn Frauenrechte wieder einmal beschnitten werden sollen. In anderen Städten fehlt der Rückhalt der Kommune. Deshalb schließen – nach Wegfall der Landesförderung Ende der 90er Jahre – viele der ersten Frauenzentren. Leicht ist der Weg nicht. So heißt es im Heft zum fünfjährigen Jubiläum des Frauenzentrums: „Unseren Anspruch in der Kommune durchzusetzen, war ein Kraftakt, den ein Teil der Frauen nicht mehr mitmachen wollte. Es ging nicht immer fein zu. Frauen, die miteinander und auf verschiedenen Ebenen zusammenarbeiten, schenken sich nichts.“

Im Vereinsarchiv zeugen Ordner voller politischer Petitionen, Sponsorenwerbung, Protestschreiben gegen den Abbau von Frauenrechten und Mittelkürzungen, aber auch Danksagungen für Privatspenden vom unermüdlichen Kampf um das Weiterbestehen und die Solidarität mit anderen Frauenprojekten. Eine große Hilfe ist der 1999 gegründete Förderverein des Autonomen Frauenzentrums – heute „Fördert Frau e.V.“. So entstehen in 25 Jahren ein Café, ein Frauenhaus mit Notwohnung, eine Beratungsstelle für Frauen, der Kultur- und Bildungsbereich „primaDonna“ und der Mädchentreff „Zimtzicken“. Trotz der beengten Räumlichkeiten kommt im Juli 1992 noch der „Notruf für Frauen und Kinder“ im Haus unter, der aber nach acht Jahren seine Arbeit beenden muss.

Frauencafé

Mitglieder der Unabhängigen Initiative Potsdamer Frauen und des Frauenzentrums eröffnen am 6. Juli 1990 das Café, (v.l.n.r.): Ute Tröbner, Dagmar Döring, Beate Müller, Jeanette Toussaint, Lea Edelmann, (dahinter v.l.n.r.) Brigitte Kirsten, Barbara Fadtke und Sieglinde Reinhardt. Foto: Henry Notroff

Das Café eröffnet im Juli 1990, zunächst jeden Freitagabend und Samstag. Drei Engagierte von der Unabhängigen Initiative Potsdamer Frauen richten es im Erdgeschoss ein. Sie kaufen Mobiliar, Geschirr und Hausrat, malern nach Feierabend die Wände – in violett, Farbe der bundesdeutschen Frauenbewegung in den 70er Jahren. Kommunikation und Information stehen im Mittelpunkt des neuen Ortes, Projekte planen, die Arbeitsgruppen und das Frauenzentrum bekannt machen. Frauen wie Männer sind willkommen, die lauen Nächte des Sommers mit Stühlen und Tischen vor dem Haus vergehen schnell. Eine anarchische Zeit, bis das Hygiene- und das Ordnungsamt Regeln setzen. Wechselnde Cafémitarbeiterinnen bringen neue Akzente in die Küche und erweitern die Öffnungszeiten. In den restlichen Räumen wird geputzt, entrümpelt und saniert.

Anfang 1991 eröffnet die Notwohnung. Dem schließt sich eine emotionale Diskussion an: Können Männer weiter das Café besuchen? Es geht um die Sicherheit, weiß man doch nie, ob nicht einer der gewalttätigen Partner versucht, Frau und Kinder zu erreichen. Es geht aber auch um Freiräume für Frauen, die einen Ort ohne männliche Anwesenheit suchen. Der Kompromiss lautet 1992: Männer dürfen zu ausgewählten Veranstaltungen und an festgelegten Tagen ins Café kommen. Zu den Angeboten für Eltern wie Still- und Spielgruppen sind sie herzlich eingeladen.

Frauenhaus

Die Notwohnung in der zweiten Etage wird Ende Januar 1991 fertig und ist schnell belegt: zwölf Betten in fünf Zimmern. Das Wirkungsfeld ist für alle Neuland – für den ehrenamtlichen Vorstand und vor allem für die Mitarbeiterinnen. Sie müssen sich selbst organisieren, betreuen die geflüchteten Frauen und ihre Kinder, bieten Beratungen an, knüpfen Kontakte zu Ämtern, Ärztinnen, Psychologinnen und organisieren erste Kulturangebote. Rund um die Uhr sind sie für Frauen in Not erreichbar. Teamfindung und regelmäßiger Austausch kommen zu kurz. Unterschiedliche Ansichten über die Prioritäten von Sozial- und Kulturarbeit führen zu Konflikten. Und da die Bauarbeiten noch nicht abgeschlossen sind, muss ständig sauber gemacht werden. Schließlich wird die heutige Geschäftsführerin des Frauenzentrums, Heiderose Gerber, im April 1991 als Koordinatorin der Aktivitäten im Haus eingestellt.

Die Plätze in der Notwohnung reichen schon im selben Jahr nicht aus. Ein Raum in der ersten Etage wird hinzugenommen. Die Kinder haben ein Spielzimmer, das nach kurzer Zeit ebenfalls als Zufluchtsraum dient. So können sie ihren Bewegungsdrang nur im Treppenhaus ausleben. Konflikte mit den Mitarbeiterinnen in den daneben liegenden Büros und während der Veranstaltungen sind vorprogrammiert. Die Situation entspannt sich erst 1992, als ein Spielplatz neben dem Haus geschaffen wird. Arbeitsförderungsmaßnahmen von 1993 bis 1996 ermöglichen eine sozialpädagogische Betreuung für die von häuslicher Gewalt geprägten Kinder. Danach steigt das Jugendamt der Stadt Potsdam ein und finanziert eine Sozialpädagogin – zunächst für wöchentlich 20 Stunden, seit 2014 für 30 Stunden. Damit ist Potsdams Frauenhaus bis heute das einzige im Land Brandenburg mit einer eigenen Kinderbetreuung.

Viele Frauen leben aufgrund des Wohnraummangels länger in der Notwohnung als geplant. Der Ärger der damaligen Sozialarbeiterinnen ist im Sachbericht von 1992 deutlich spürbar: „Trotz dringendem Wohnberechtigungsschein warten Frauen bis zu einem Jahr auf eine geeignete, neue Wohnung, und die Männer verweilen währenddessen in paradiesischen Zuständen in den leergezogenen Wohnungen in 2 ½ bis 3 Zimmern – so lange, bis gerichtliche Entscheidungen getroffen werden. Ein skandalöser Widerspruch! Was die Frauen und Kinder auf sich nehmen müssen, währenddessen die Männer im gemachten Nest sitzen, steht in keinem Verhältnis!“

Trotz des bekannten Standortes des Frauenhauses, gibt es nur vereinzelte Versuche von Ex-Partnern, gewalttätig einzudringen. Meist können die Mitarbeiterinnen die Situation entschärfen. Nur einmal wird es gefährlich, als eine psychisch kranke Frau versucht, Feuer zu legen.

Ab 1993 nehmen die Beschäftigten des Frauenhauses berufsbegleitend an einer zweijährigen Weiterbildung teil, die sie den Sozialarbeiterinnen in den alten Bundesländern gleichstellt, denn: eine solche Ausbildung gab es in der DDR nur in begrenztem Rahmen bei der Kirche. Die meisten kommen aus anderen Berufen und haben sich zunächst autodidaktisch mit dem Thema häusliche Gewalt auseinandergesetzt. Die psychische Belastung ist hoch. Umso wichtiger ist der professionelle und reflektierende Umgang mit den Problemen, den die Frauen nun lernen. Die Weiterbildung führt Engagierte aus Frauenhäusern und Zufluchtswohnungen im Land Brandenburg zusammen – mit einem nachhaltigen Effekt: Um sich auch in Zukunft inhaltlich auszutauschen und eine stärkere Lobby aufzubauen, gründen sie im März 1995 das Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser.

Eine zusätzliche externe Zufluchtswohnung für Frauen, die vor gewalttätigen Partnern geflüchtet sind, wird 1997 angemietet. Hier finden wohnungslos gewordene Frauen mit Kindern und junge Frauen eine vorübergehende Bleibe. Im Gegensatz zum Frauenhaus können hier außerdem Mütter mit ihren Söhnen, die älter als 13 Jahre alt sind, zusammenleben. Seit Jahren melden sich auch immer mehr Migrantinnen, sowohl Geflüchtete als auch ausländische Frauen, die ohne vorheriges Zusammenleben einen Deutschen geheiratet haben.

2011 wird ein besonderes Jahr und ein enormer Kraftakt: Bei laufendem Betrieb zieht das Frauenhaus an einen anonymen Ort. Hier gibt es 21 Plätze in vier Wohneinheiten, eine davon barrierefrei. Die Zahl der Frauenhäuser im Land Brandenburg ist in den letzten zwei Jahrzehnten gesunken. Aktuell gibt es in 20 Städten Frauenhäuser und Schutzwohnungen, 1991 waren es rund 30. Leider liegt das an der Finanzierung und nicht an rückläufiger Gewalt. Das Frauenzentrum Potsdam ist eines von elf autonomen Projekten. Die anderen haben meist Träger aus dem Wohlfahrtsbereich wie das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk oder das Deutsche Rote Kreuz.

Frauenberatungsstelle

Die Frauenberatungsstelle in der Nansenstraße eröffnet im Herbst 1994. Frauen können sich hier zunächst von einer Sozialpädagogin, später von einer Psychologin kostenlos Rat und Unterstützung holen. Die Themen: Gewalt gegen Frauen und Kinder, sexuelle Belästigung, Diskriminierung und Lebenskrisen, die andere Ursachen haben. Neben der persönlichen Beratung von Betroffenen bauen die Mitarbeiterinnen ein Kontaktnetz auf, mit dem sie Frauen fachspezifische Unterstützung vermitteln können. Sie sensibilisieren Polizei und Ärzteschaft für häusliche und sexuelle Gewalt und organisieren seit 2005 Fachtagungen und Fortbildungen dazu. Eine Mitarbeiterin der Zufluchtswohnung bietet außerdem seit 2003 zwei Mal monatlich Beratungen zu häuslicher Gewalt an, zuerst in Werder, heute in Teltow.

Viel hat sich durch die Einführung des Gewaltschutzgesetzes 2002 verändert. Es sieht eine juristisch verbindliche und schnellere Hilfe für Menschen vor, die von häuslicher Gewalt oder Stalking betroffen sind. Der gewalttätige Partner kann nun der gemeinsamen Wohnung verwiesen, ihm zudem Kontaktverbot erteilt werden. Die Polizei kooperiert dabei auch mit der Frauenberatungsstelle: Die Mitarbeiterinnen des Kommissariats Leben und Gesundheit weisen Opfer häuslicher und sexueller Gewalt auf das Frauenhaus und die Frauenberatungsstelle hin, vermitteln auf Wunsch auch den Kontakt.

Frauenhaus und Beratungsstelle wirken darüber hinaus in mehreren Arbeitskreisen des Landes Brandenburg mit, darunter „Opferschutz“, „Migrantinnen und Gewalt“ und „Frau und Sucht“. In der Arbeitsgruppe „Sexualisierte Gewalt“ des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie entsteht das Modellprojekt „Medizinische Soforthilfe und vertrauliche Spurensicherung“: Frauen können nach einer Vergewaltigung in vier brandenburgischen Krankenhäusern die Spuren sichern und sich beraten lassen, ohne sofort eine Anzeige bei der Polizei zu stellen. Projektpartner sind die Opferhilfe des Landes, das Landesinstitut für Rechtsmedizin sowie die Kliniken Cottbus, Frankfurt/Oder, Neuruppin und Potsdam. Seit 2016 informieren ein Kinospot und eine Webseite über dieses Angebot.

2007 tritt die Beratungsstelle dem Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe bei. Nur so kann die überregionale Akzeptanz und Öffentlichkeit für das Thema politisch durchgesetzt und die eigene Position gestärkt werden. Neu hinzu kommt die Aufklärung über Gewalt an Migrantinnen. Noch sind die Hemmschwellen der Betroffenen hoch, sich fachkundigen Rat zu holen. Andere Wege müssen gefunden werden. Seit 2015 informiert zumindest ein Flyer in sechs Sprachen über häusliche Gewalt an Frauen und meint damit auch Übergriffe in Gemeinschaftsunterkünften für Flüchtlinge.

Die Frauenberatungsstelle ist bis heute die einzige externe Beratungsstelle mit dieser Thematik im Land Brandenburg. In allen anderen Städten werden Frauen in den Notunterkünften beraten, was einen anonymen Standort unmöglich macht.

PrimaDonna – Frauen Kultur & Bildung

Ein großes Fest am 13. September 1991 kündigt an: Das Frauenzentrum eröffnet seinen Kultur- und Bildungsbereich. Der Name „primaDonna“ wird 2007 gefunden. Trotz widriger Umstände – wechselndes Personal, unsichere Förderung – entsteht ein breites Spektrum an Bildung, Kultur, Lebenshilfe und eine Bibliothek.

Von Anfang an wird auf Selbsthilfe gesetzt, entsprechende Gruppen finden sich zusammen wie: Frauen in der Lebensmitte, alleinerziehende Mütter, Gewalt gegen Frauen, stillende Frauen, Esssüchtige. Auch eine lesbische Gruppe trifft sich über Jahre dort – das Blaue Wunder – und mittlerweile wieder am neuen Standort – die Regenbogenfeen.

Die professionelle Unterstützung ist ein weiterer Baustein innerhalb der Kultur und Bildungsangebote. Die Warteschlange ist lang bei den regelmäßigen Rechts- und Sozialberatungen. Auch die Hilfe für Arbeitslose mit Frühstück ist gut besucht. Eine Mitarbeiterin bietet Kinderbetreuung für Frauen an, die zu den Beratungen und Veranstaltungen kommen oder Behördentermine haben.

Workshops und Kurse tragen ebenso zur kulturellen Vielfalt bei und ziehen viele Interessentinnen an: Fahrradreparatur, Massagekurse, Bauchtanz und vieles mehr über die Jahre. Für Tanz-, Bewegungs- und Selbstverteidigungskurse wird 1993 ein Raum im „Offizze“ in der Schiffbauergasse hergerichtet. 1997 geht dieser in die Trägerschaft des Waschhauses über. Eine Spielgruppe für Kinder entsteht, Hebammen bieten bis heute Geburtsvorbereitungskurse an.

Daneben profiliert sich das Frauenzentrum als Veranstaltungsort: Lesungen, Ausstellungen von Frauen, insbesondere Malerei und Grafik, Theateraufführungen, politische Diskussionsrunden, Feste und regelmäßige „Weiberfeten“ gehören dazu und natürlich politische Aktionen gegen den Sozialabbau, die Wiedereinführung des Abtreibungsparagraphen 218, die Kürzung der Arbeitslosenunterstützung… Das Frauenzentrum bietet aber auch anderen engagierten Initiativen eine Plattform: Der Arbeitslosenverband trifft sich hier, ebenso UNICEF. Vereine wie das Frauengesundheitszentrum „Ringelblume“ und die „Brandung – Werkstatt für politische Bildung“ laden zu Vorträgen und Kursen ein. Und von April 1992 bis Juni 1993 arbeitet auch die Lesbenbeauftragte für das Land Brandenburg – neben Leipzig die einzige in den neuen Bundesländern – im Frauenzentrum. Sie führt Beratungen durch und organisiert Veranstaltungen, um die Akzeptanz lesbischer Lebensweisen zu steigern und politische Mitwirkung einzufordern. 1994 geht die Stelle in der brandenburgischen Landeskoordinierungsstelle für LesBiSchwule & Trans* Belange auf.

Die Öffentlichkeit reagiert auf das Frauenzentrum mit Notwohnung unterschiedlich. Neben vielen positiven Rückmeldungen halten sich Vorurteile. Manche denken an radikale Frauen, die Männer ablehnen. Andere sehen das Frauenhaus als Oase für Mütter, die sich eine Auszeit nehmen wollen. Doch allmählich gelingt es dem Frauenzentrum, auch mit Hilfe engagierter Journalistinnen, diese Meinungen zu entkräften. Aber es dauert. 1992 resümiert Heiderose Gerber augenzwinkernd: „Zuerst waren wir männerfeindlich, dann lesbenfreundlich und jetzt sind wir die Feministinnen.“

Die Presse schafft auch eine größere Öffentlichkeit, wenn die Existenz auf der Kippe steht: fehlende Finanzierung, Probleme mit dem Haus. Die Stadt will im Juni 1991 den Mietvertrag nicht verlängern. Das zentral gelegene Haus ist inzwischen im Wert gestiegen. Droht die Abschiebung der Frauen an den Stadtrand? Im September wird endlich ein neuer Vertrag geschlossen – befristet bis zum 31. Dezember und mit der unbefriedigenden Option, bei einer Kündigung ein gleichwertiges Haus zu erhalten. Anfang 1992 kann das Frauenzentrum dann einen unbefristeten Mietvertrag unterschreiben. Kurz darauf erhebt das Bundesvermögensamt einen Rückübertragungsanspruch, denn bis 1961 gehörte das Haus dem Finanzamt. Wieder muss zäh verhandelt werden. Das Resultat: 1992 stellt die Stadt dem Vermögensamt ein anderes kommunales Grundstück als Ausgleich zur Verfügung. Das Frauenzentrum kann bleiben – und wird sogar von Dortmunderinnen beneidet: Der Ortsverband des Deutschen Hausfrauen-Bundes hatte es auf einer Reise kennengelernt und berichtet darüber in der Westfälischen Rundschau. Auch sie hatten sich jahrelang um ein städtisch finanziertes Haus bemüht. Es sollte Treffpunkt für unterschiedliche Frauenverbände werden – traditionelle wie feministische, um Vorurteile abzubauen. Die Erlöse eines Cafés sollten Fraueninitiativen zugute kommen. Das Projekt blieb leider Vision. Und so wünschen sie den Potsdamerinnen, dass zumindest ihr „Haus der Frau“ weiter machen kann.

Doch 1995 steht die Frauenkultur unter keinem guten Stern. Die Landesregierung muss sparen, das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen plant, Gelder für die Kultur zu streichen, ausgerechnet zum fünfjährigen Jubiläum des Hauses. Als die zuständige Ministerin Regine Hildebrandt an diesem Tag das Frauenzentrum besucht, wird sie entsprechend frostig begrüßt. Auf dem Willkommensspruchband ist das Wort „Frauen“ in der Bezeichnung des Ministeriums durchgestrichen.

Demonstration auf dem Bassinplatz gegen die Kürzung von Geldern im November 2003, mit dabei die Vorstandsmitglieder des Frauenzentrums (v.l.n.r.) Bettina Melchior, Beate Müller, Wiebke Matthesius vom Mädchentreff „Zimtzicken“ und Gisela Opitz. Bildrechte: Autonomes Frauenzentrum

Kämpfe gegen Kürzungen bleiben auf der Tagesordnung, selbst die Stadt will immer wieder Förderungen zurückfahren. Mit Demonstrationen und Protestschreiben, mitgetragen von verbündeten Vereinen und Parteien, gelingt es, Streichungen teilweise rückgängig zu machen oder andere Unterstützer zu mobilisieren. Leider bleiben Kündigungen nicht aus. Angebote fallen weg, das Café kann bald nur noch zu Veranstaltungen öffnen.

Aus der Fülle der Kultur in den letzten 25 Jahren seien im Folgenden einige markante Ereignisse und etablierte Formate herausgegriffen. Seit der Entstehung der Brandenburgischen Frauenwoche 1991, die jährlich um den Internationalen Frauentag herum gefeiert wird, beteiligt sich das Frauenzentrum mit Ausstellungen, Workshops, Lesungen, Diskussionsrunden, Tanzperformances und  Filmveranstaltungen. Im September 1997 organisiert das Frauenzentrum erstmals die Frauenkulturtage, das heutige Festival der Frauen. Ein Highlight ist die Open Air-Fotoausstellung von Bettina Flitner „Mein Feind“ auf der Brandenburger Straße. Die Künstlerin hatte Frauen in Berlin und Köln nach ihren Rachefantasien gefragt und sie überlebensgroß in Szene gesetzt. Von nun an können die Potsdamerinnen und Potsdamer jedes Jahr im Herbst eine Woche lang an verschiedenen städtischen Orten Kultur und Kunst von Frauen zu aktuellen Fragestellungen erleben. Die Werke verhandeln sexuellen Missbrauch, beschäftigen sich mit gesellschaftlichen Rollenbildern, Frauengeschichte, Gleichberechtigung, weiblicher Kultur in anderen Ländern und der Flüchtlingsthematik. Straßenaktionen Potsdamer Künstlerinnen bereichern das Angebot. Im Jahr 2000 finden die Frauenkulturtage im Rahmen des zehnjährigen Jubiläums des Frauenzentrums statt. Große Schleifen am Haus weisen darauf hin.

Straßenbahnwerbung für Veranstaltungen zum Internationalen Frauentag am 8. März 1998 in der Wilhelmgalerie, Motto: So wollen Frauen leben. Bildrechte: Autonomes Frauenzentrum

Um Potsdamer Frauengeschichte sichtbar zu machen, werden 1994 im Rahmen des deutschlandweiten Frauenstreiktages kurzzeitig Straßen umbenannt. 2009 erscheint der erste Band der Schriftenreihe des Frauenzentrums: „Zwischen Tradition und Eigensinn“ vereint Kurzbiografien von Potsdamerinnen. Das vorliegende Buch ist nun der dritte Band der Reihe.

Zu den vielen Aktionen, die das Frauenzentrum initiiert oder unterstützt, gehören der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November mit der traditionellen Fahnenhissung der Frauenrechtsorganisation „Terre des Femmes“ am Potsdamer Rathaus und die Teilnahme an der Kampagne „One Billion Rising“ zum Valentinstag, an dem ebenfalls gegen Gewalt an Frauen und Mädchen protestiert und Gleichstellung gefordert wird. Weltweit treffen sich Menschen an diesem Tag auf einem öffentlichen Platz, in Potsdam meist vor dem Brandenburger Tor, um zu tanzen oder auf andere Weise zu protestieren. Gezeigt wird so gemeinsame Stärke und Solidarität mit Frauen und Mädchen, die Opfer von Gewalt wurden.

Ein Geschenk von Frauen für Frauen: Das Frauenzentrum feiert am 13. September 2000 sein zehnjähriges Bestehen und die vierten Frauenkulturtage. Bildrechte: Autonomes Frauenzentrum

2003 entstehen über die Integrationsbeauftragte der Stadt und den Fürstenberger Förderverein Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück Kontakte zu ehemaligen Zwangsarbeiterinnen des KZ Ravensbrück, die im Invalidenverein Simferopol auf der Krim vereint sind. Von nun an lädt das Frauenzentrum jährlich im Rahmen des Jahrestages der Befreiung die Überlebenden nach Potsdam ein. Kleider- und Geldspenden werden übergeben, Zeitzeugengespräche mit Jugendlichen organisiert. Die Krimkrise 2014 beendet diese Treffen, denn die Frauen erhalten keine Papiere für die Ausreise. Und mittlerweile sind sie zu alt für die lange Fahrt nach Deutschland.

Bereits in den 90er Jahren informieren Vorträge von Frauen aus anderen Ländern über ihre Herkunftskultur. 2003 wird diese Aktivität des Frauenzentrums stabiler: Es findet sich unter der Leitung von drei Frauen, die aus Vietnam und dem Iran stammen, eine interkulturelle Gruppe zusammen. Zunächst geht es primär um Spracherwerb. Sie kochen gemeinsam, bieten Begleitung zu Ämtern an und helfen ausländischen Frauen, sich im deutschen Alltag zurechtzufinden. 2006 würdigt der Integrationspreis der Stadt Potsdam dieses interkulturelle Projekt, 2015 noch einmal. Nun hat sich die Zusammensetzung der Gruppe verändert. Während die ersten Frauen aus China, Vietnam, Afghanistan, Japan, Korea und der Türkei kommen, treffen sich seit 2011 vor allem Frauen aus verschiedenen afrikanischen Ländern, um sich auszutauschen und Interessierten im Rahmen von Festen und Vorträgen ihre Kultur näher zu bringen.

Frauen der interkulturellen Gruppe, darunter die Leiterinnen Mehrnoosh Moradian (3.v.l.), Huyen Nguyen Thanh (5.v.l.) und Mithra Moradian (2.v.r.) sowie die Kulturmanagerin Anna Brömsel (r.), 11. August 2004. Bildrechte: Autonomes Frauenzentrum; Foto: Simone Ahrend

Im Mai 2011 verlässt auch „primaDonna“ die Zeppelinstraße und zieht zusammen mit der Geschäftsstelle des Frauenzentrums in die Schiffbauergasse. Mitten im Kulturstandort Potsdam sind sie endlich ein sichtbarer Teil davon, haben mehr Platz für eigene Veranstaltungen und müssen nicht mit ständigen Sicherheitsbedenken wegen der gefährdeten Frauen im Haus leben. Noch im Februar 2011 wendet sich der Verein in einem offenen Brief, den auch die Gleichstellungsbeauftragte unterzeichnet, an die Stadtverordnetenversammlung: 12.000 Euro fehlen jährlich für die Anmietung der neuen Räume. Die Frauen wollen, müssen aber auch das alte Haus verlassen, denn die Stadt will die Immobilie verkaufen. Schließlich wird das fehlende Geld bewilligt. Ein Café gibt es nun nicht mehr. Aber bis heute Rechtsberatung und Geburtsvorbereitungskurse und viele weitere soziokulturelle und sportliche Angebote.

Notruf für Frauen und Kinder

Der Notruf entsteht aus einer Arbeitsgemeinschaft, die sich seit 1990 mit der zunehmenden Gewalt auseinandersetzt und zur Gründung einer Selbsthilfegruppe für Frauen mit sexuellen Gewalterfahrungen führt. Den davon betroffenen Frauen und auch Kindern soll ein telefonischer Notruf die Kontaktaufnahme erleichtern und anonyme Beratungen ermöglichen. Ursprünglich ehrenamtlich vorgesehen, zeigt sich schnell, dass dies nicht zu leisten ist. Zumal ein permanenter Telefondienst und eine wöchentliche Beratung geplant sind. Im Juli 1992 erhalten drei Frauen befristete Stellen. Unterstützt von vielen Ehrenamtlichen bieten sie nun erste Hilfestellung für Betroffene von physischer und psychischer Gewalt an. Bei Bedarf vermitteln sie Frauen und Kinder zu medizinischen Untersuchungen und psychologischen Beratungen sowie an die Polizei. Für einen Dienst rund um die Uhr sind sie jedoch zu wenige. Daher schränken sie die Zeiten auf vier Tage die Woche mit je drei bis vier Stunden ein.

Aufkleber des Notrufs für Frauen und Kinder. Bildrechte: Autonomes Frauenzentrum

Beratung ist jedoch nur ein Teil ihres Engagements. Mit Ausstellungen, Infoständen, Theateraufführungen, Lesungen, Faltblättern und pinkfarbenen Aufklebern bringen sie das Thema Gewalt gegen Frauen, Jugendliche und Kinder in die Öffentlichkeit, sensibilisieren so die Bevölkerung. Um auch soziale und pädagogische Fachkräfte zu erreichen und das breite Kontaktnetz auszubauen, nehmen die Frauen an mehreren Arbeitskreisen teil.

Der Telefonservice wird um persönliche Beratungen erweitert. Später begleiten sie auch Frauen und Kinder zu Gerichtsverfahren, in denen Sexualdelikte verhandelt werden. Zudem bieten sie in Schulen ein Präventionsprogramm gegen sexuelle Übergriffe an, das sich an Kinder, Jugendliche, Lehrkräfte und Eltern richtet. Und sie organisieren Selbstverteidigungskurse. Bis Dezember 1998 wird der Notruf finanziell gefördert. Engagiert versuchen fünf Frauen, das Projekt danach ehrenamtlich weiterzuführen. Im August 2000 geben sie auf.

Als wäre der Notruf nicht kräftezehrend genug, organisieren die Frauen auch das Walpurgisnachtfest am 30. April und den Internationalen Aktionstag „Gegen Gewalt gegen Frauen“ am 25. November. Das Walpurgisfest ist eine von vielen Möglichkeiten, um auf die Arbeit des Frauenzentrums aufmerksam zu machen. Zu Ehren der heidnischen Frühlings- und Fruchtbarkeitsgöttin Walpurga feierten vor vielen Jahrhunderten Frauen gemeinsam in der Nacht zum 1. Mai. Die Verfolgung der als Hexen verfemten Frauen beendete diese Tradition. Die feministische Bewegung in der Bundesrepublik besann sich darauf: 1977 riefen dort Frauenhäuser zu Demonstrationen gegen Gewalt an Frauen am 30. April auf – unter dem Motto „Wir erobern uns die Nacht zurück!“ Die seitdem jährlich stattfindenden Aktionen und Feste machen auf die Hexenverfolgung und die gegenwärtige Diskriminierung und Gewalt aufmerksam. Daran knüpfen die Frauen des Potsdamer Notrufs an. Die erste große Walpurgisnachtfeier findet 1994 statt; sie wandelt sich im Lauf der Jahre vom Frauen- zum Familienfest. 2016 erhält das Frauenzentrum eine kurzfristige Absage für den geplanten Veranstaltungsort und findet so schnell keine Alternative. Erstmals fällt das Fest aus. Doch der seit 1994 in diesem Kontext vergebene Hexenbesen wird auch dieses Jahr verliehen – an die Potsdamer Sozialdezernentin Elona Müller-Preinesberger. Sie hat sich unter anderem dafür engagiert, dass die Kinder im Frauenhaus von einer sozialpädagogischen Fachkraft betreut werden können.

Verleihung des Hexenbesens an die Sozialbeigeordnete Elona Müller-Preinesberger am 29. April 2016 im Rathaus, (v.r.n.l.): Elona Müller-Preinesberger, Heiderose Gerber – Leiterin des Frauenzentrums, Vera Spatz vom Mädchentreff „Zimtzicken“, Lydia Sandrock von der Frauenberatungsstelle und Nadia Hübner vom Frauenhaus. Bildrechte: Autonomes Frauenzentrum; Foto: Jenny Pöller

Auf wessen Idee die Verleihung eines bunt bemalten und geschmückten Besens beruht, ist nicht mehr feststellbar. Jedes Stück ist ein Unikat, zunächst von der Kulturmanagerin Anna Brömsel gestaltet, seit 2010 von der Psychologin der Frauenberatungsstelle Lydia Sandrock. Der Preis ehrt Frauen, die sich für die Wahrung und Durchsetzung von Frauenrechten besonders eingesetzt haben. Nicht selten agieren sie in männlich dominierten Strukturen. Der Besen soll ihnen Kraft verleihen, um ihre Ziele weiterhin durchzusetzen. Die Auszeichnung macht zugleich auf die Stärken und kreativen Kräfte von Frauen aufmerksam und protestiert gegen die weltweit häufigste Form von Gewalt, die familiäre.

Eigentlich hätten alle Mitarbeiterinnen und Ehrenamtlichen des Frauenzentrums für ihr Engagement einen Hexenbesen verdient. Doch er soll nicht innerhalb des Vereins verliehen werden. Um aber Heiderose Gerber als Frau der ersten Stunde und treibende Kraft des Frauenzentrums gebührend zu ehren, setzt sich das Team darüber hinweg und überrascht sie 2006 mit dem Preis.

Mädchentreff Zimtzicken

Erste Angebote für Mädchen entstehen 1993 im Café des Frauenzentrums. Einmal wöchentlich gehört es ihnen. Die Akteurinnen finden sich zunächst ehrenamtlich zusammen, Anfang 1994 wird die erste Frau befristet eingestellt, unterstützt von einer Praktikantin. 14- bis 15-jährige Mädchen treffen sich hier zum Reden, spielen Theater, drehen einen Film und fahren ins Sommercamp. Doch der Platz reicht für eine kontinuierliche und gemeinsam mit den Mädchen gestaltete Arbeit nicht aus. Auch Jüngere haben bereits Interesse an einem Ort, wo sie Gleichgesinnte finden. Lange bemühen sie sich um eine Finanzierung und um geeignete Räume. Im Dezember 1996 ist es dann soweit: der Mädchentreff „Zimtzicken“ bezieht eine ehemalige Kita im Wall am Kiez und startet mit einer „Großen Schnepfenparty“. Sie nehmen unter anderem an den brandenburgischen Mädchenprojekttagen und den Mädchenzukunftstagen „Girls’ Day“ teil und kooperieren mit Potsdamer Schulen. Es gibt eine Comingout-Beratung, gemeinsame Ausflüge, Ferienfahrten und jede Menge kreativer Angebote. Heute arbeiten bei den „Zimtzicken“ vier Frauen, die sich drei Stellen teilen.

Gedacht ist der Treff für Mädchen aller Nationen, doch es gibt Berührungsängste zwischen den Kulturen. Erst als die vietnamesische Sozialarbeiterin Huyen Nguyen Thanh 2007 eine interkulturelle Gruppe am Schlaatz initiiert – die es bis heute gibt– trauen sich die ersten. Mit dem Patinnenprojekt erringt der Mädchentreff 2009 den Integrationspreis der Stadt Potsdam: Mädchen aus verschiedenen Kulturen sollen den Alltag und die familiären Traditionen der jeweils anderen kennenlernen. Im Rahmen der Berufsorientierung besuchen sie erfolgreiche Migrantinnen an ihren Arbeitsorten und Einrichtungen wie das Max-Planck-Institut oder laden auch mal eine junge Existenzgründerin ein.

Die Sozialarbeiterinnen gehen auch in Flüchtlingsunterkünfte, um Projekte mit den dort lebenden Mädchen zu entwickeln. Seit 2008 findet man die „Zimtzicken“ am Hans-Marchwitza-Ring in Zentrum Ost, denn die alten Räumlichkeiten mussten für einen Hort freigemacht werden. Hier haben sie einen großen Garten mit Baumhaus, eine Werkstatt und sind in direkter Nähe von zwei Schulen präsent. Gemeinsam gehen sie klettern, nehmen an einem Zirkustraining und einem Elektronikworkshop teil.

Die „Zimtzicken“ auf Reisen: deutsche und polnische Mädchen auf einer siebentägigen Segeltour im Juli 2015 mit den Sozialarbeiterinnen Huyen Nguyen Thanh (1. Reihe mit Seil), Vera Spatz (rechts stehend), Asia Michalczyk (links daneben) und Magdalena Reichhardt (7.v.r. stehend). Bildrechte: Mädchentreff Zimtzicken

Am 11. Oktober 2012 wird der erste Weltmädchentag der Vereinten Nationen ausgerichtet – die brandenburgischen Mädchen treffen sich in Potsdam. Organisiert von der Kontakt- und Koordinierungsstelle für Mädchenarbeit, dem Bildungsverein HochDrei e.V. und dem Mädchenpolitischen Netzwerk Brandenburg finden unter anderem Gespräche mit Politikerinnen und Politikern statt. Die Postkartenaktion „Wenn ich Bürgermeisterin wäre, dann würde ich…“ bringt spannende Antworten. Die „Zimtzicken“ treten mit einem Theaterstück auf. In dieser Zeit entstehen Freundschaften zu den beteiligten polnischen Mädchen. 2015 treffen sie sich auf einer gemeinsamen Segeltour wieder. Derzeit bereiten die „Zimtzicken“ ihre Feier zum 20. Jubiläum im Dezember 2016 vor.

Schirm auf

Das Logo des Vereins ist ein Schirm. Unter seinem Dach sind alle Frauen willkommen, unabhängig von Alter, Hautfarbe, Religion, Lebensform, sexueller Identität und Behinderungen. Er bietet Frauen Schutz und gleichzeitig einen Raum, in dem sie ihre Energien entfalten können.

So können sie gemeinsam abheben und dem Himmel, also ihren Zielen und Träumen näher kommen. Wie souverän frau mit einem Schirm durch stürmische Zeiten fliegen kann, zeigte schon Mary Poppins im gleichnamigen Film von 1964. Die erfolgreiche Mission des eigensinnigen englischen Dienstmädchens: Die Familie zusammenführen und ihr Herz für Nichtprivilegierte öffnen. Und je größer der Schirm wird, desto mehr Frauen finden darunter Platz.

 

 

Dieser Text ist erschienen in: „Ein Besen für mutige Frauen. Siebenundzwanzig Gesichter und ein Preis“ von Jeanette Toussaint.

Jeanette Tousaint: Ein Besen für mutige Frauen

Das Buch kann unter post(at)frauenzentrum-potsdam.de zum Preis von 10,00 Euro zzgl. Versandkosten bestellt werden.