Koordinierung und Fallkonferenzen gegen häusliche Gewalt

Pressemitteilung zum 25.11., dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen

Vor allem der Femizid im Stadtteil Waldstadt beschäftigte die Potsdamer*innen: am 1. März 2022 wurde eine Frau von ihrem Ex-Partner getötet. Der Fall zeigt, wie sehr es bis heute an Vernetzung und Koordinierung in Fällen häuslicher Gewalt fehlt. So war der mittlerweile zu 14 Jahren Haft verurteilte Täter bereits in der Vergangenheit wegen mehrerer Angriffe auf frühere Partnerinnen vorbestraft, aufgrund psychischer sowie Suchterkrankung im Maßregelvollzug, schließlich auf Bewährung unter Führungsaufsicht. In Waldstadt kam es während dieser Bewährung zu einem ersten Polizeieinsatz wegen häuslicher Gewalt. Trotz dieses Polizeieinsatzes, trotz einer Warnung durch die Bewährungshelferin und obwohl die behandelnde Klinik eine erneute Einweisung beantragte, entschied sich das Landgericht Frankfurt/Oder gegen eine Einweisung. Eine Gefährdung der Ex-Partnerin wurde dabei billigend in Kauf genommen. Einige Wochen nach der Verhandlung tötete der Mann seine Ex-Partnerin.  

Zum Umgang mit Fällen wie diesem gibt es in einigen Bundesländern, wie etwa Niedersachsen oder Rheinland-Pfalz, Fallkonferenzen zur Risikoeinschätzung. Ziel der Fallkonferenz ist es, die von Gewalt betroffene Person zu schützen und alle dazu notwendigen Maßnahmen einzuleiten und miteinander abzustimmen. Im Fall der ermordeten Frau in Waldstadt hätten sich die behandelnde psychiatrische Klinik, die Bewährungshelferin, die Polizei, das Frauenhaus, Opferberatungsstellen, das Jugendamt und weiter Akteur*innen über die konkrete Gefahr abstimmen müssen. Aufgrund der Vorgeschichte des Täters sowie seines aktuellen Zustands wäre für alle Beteiligten klar gewesen, dass die Situation für die Ex-Partnerin lebensgefährlich ist und dringend Maßnahmen ergriffen werden müssen.

„Bei häuslicher Gewalt müssen wir uns immer das ganze Bild anschauen. Jede Begebenheit, jede Information kann wichtig sein. Das funktioniert nur im Austausch miteinander“ sagt Heiderose Gerber, Geschäftsführende Vorstandsfrau des Autonomen Frauenzentrums. Die Koordinierung aller Stellen, die mit häuslicher Gewalt in Kontakt sind, ist Teil der Istanbul Konvention und damit verpflichtend, sei es im Rahmen einer Fallkonferenz oder in einem anderen Format.

 

Lagebild häusliche Gewalt

Das „Lagebild häusliche Gewalt“ des Landeskriminalamts zeigt für das Jahr 2021 insgesamt 5.073 Fälle von Straftaten im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt, das sind 3,1% weniger als im Vorjahr. Trotz dieses Rückgangs ist das Niveau noch immer hoch, es steigt seit über 10 Jahren an. Zum Vergleich: 2011 wurden 3.647 Fälle erfasst.

339 der 2021 erfassten Fälle fanden in Potsdam statt. Somit liegt die Landeshauptstadt mit 6,7 Prozent aller erfassten Fälle auch 2021 wieder auf Platz zwei hinter Cottbus mit 7,2 Prozent.

Besonders auffällig ist, dass 2021 Straftaten im Bereich Stalking / Nachstellung stark angestiegen sind: Mit 136 Fällen waren es 27 Prozent mehr als 2020.

Die Straftaten gegen das Leben, also Mord, Totschlag und fahrlässige Tötung, lagen 2021 bei 12 Fällen, davon 3 Mordfälle; 2020 waren es 18 Fälle, davon 4 Mordfälle. 

 Das Lagebild häusliche Gewalt ist einzusehen unter: https://polizei.brandenburg.de/fm/32/Lagebild_hausliche-gewalt-2021.pdf

 

So sah das Jahr 2021 in unseren Gewaltschutzeinrichtungen aus:

Im Potsdamer Frauenhaus fanden 2021 insgesamt 28 Frauen und 22 Kinder Schutz und Hilfe. Der Bedarf ist jedoch um ein Vielfaches höher: 67 von Gewalt betroffene Frauen konnten aufgrund fehlender Plätze nicht aufgenommen werden; weitere 21 Frauen aufgrund der sehr angespannten Personalsituation. Sie wurden an andere Einrichtungen vermittelt. Die Lebenslagen der Frauen werden schon seit einigen Jahren zunehmend komplexer. Neben der Gewalterfahrung spielen zum Beispiel psychische Erkrankungen, Sucht und Überschuldung eine Rolle und erfordern eine intensive Begleitung durch die Sozialarbeiterinnen. Daneben muss das Potsdamer Frauenhaus viele weitere Aufgaben erfüllen, die in anderen Bundesländern in speziellen Fachberatungs- und Interventionsstellen verortet sind.

Das bedeutet: Neben den räumlichen Kapazitäten fehlt es an einer Finanzierung für eine Stellenbesetzung, die den vielfältigen Aufgaben entspricht.  

Die Frauen, die im Potsdamer Frauenhaus Schutz fanden, sind jung: 36 Prozent von ihnen waren jünger als 25, 36 Prozent zwischen 30 und 40 Jahren alt. Der Großteil der Frauen (82 Prozent) suchten vor dem eigenen Ehemann oder Lebenspartner Schutz. 25 Prozent erlebten (zusätzlich) Gewalt durch Familienangehörige. 46 Prozent der Frauen wurden durch öffentliche Institutionen vermittelt: Beratungsstellen, Ärzte, Krankenhäuser, Jobcenter, Schule der Kinder usw.; weitere 18 Prozent von der Polizei.

Beratungsstelle: Die Beratungsstelle für Frauen und Mädchen in der Garnstraße in Babelsberg führte 2021 insgesamt 886 Beratungen durch. Die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle standen entweder im persönlichen Gespräch in der Beratungsstelle zur Verfügung, beraten wurde aber auch per E-Mail, über einen Online-Chat, telefonisch sowie aufsuchend. Inhaltlich ist auffällig, dass unter den verschiedenen Themen der Beratung die häusliche Gewalt stark zugenommen hat: seit 2019 um 30 Prozent. Außerdem ist die Intensität der häuslichen Gewalt angestiegen, d.h. die Fälle sind schwerer geworden und es wurden weitreichendere Maßnahmen notwendig. Diese Entwicklung wurde durch die teils langen Phasen des Lockdowns verstärkt und führte bei den betroffenen Frauen zu einer starken psychischen Belastung.

Die Frauennotwohnung des Vereins war während des Jahres 2021 mit sechs Frauen und drei Kindern fast durchgängig ausgelastet. Sie wird vorrangig von Frauen bewohnt, die aufgrund aktueller oder zurückliegender Gewalterfahrungen einem längeren Betreuungs- und Begleitungsbedarf haben.