Wer waren die Frauen, nach denen die Straßen auf dem Alten Markt benannt wurden?

Anna Zielenziger geb. Landsberger

(*1867 Glogau †1943 Westerbork)
1906 bis 1938 Vorsitzende des Israelitischen Frauenvereins Potsdam

Anna Zielenziger, um 1937 © Ellen Fränkel

 

Anna Zielenziger kam als jüngste Tochter einer einflussreichen jüdischen Bankiersfamilie im preußischen Glogau zur Welt. Die Heirat mit dem jüdischen Kaufmann Julius Zielenziger, dessen Vater eine Getreidegroßhandlung in der Französischen Straße 25 betrieb, führte die 21-Jährige 1888 nach Potsdam.

Das Paar bekam zwei Kinder: 1890 Kurt, 1894 Gertrud. Anna Zielenziger sorgte für deren Erziehung und organisierte den Haushalt. Hinzu kam eine Reihe von repräsentativen Pflichten, denn Julius Zielenziger hatte in Potsdam verschiedene Funktionen inne: Er war Abgeordneter der Deutschen Demokratischen Partei, Stadtrat, Vorsitzender der Synagogengemeinde und Schatzmeister der Handelskammer.

Anna Zielenziger übernahm 1906 ein wichtiges Ehrenamt: den Vorsitz des Israelitischen Frauenvereins Potsdam. Die Mitglieder sammelten unter anderem für wohltätige Zwecke. Dazu zählte mit Beginn des 20. Jahrhunderts die Unterstützung von jüdischen Mädchen und jungen Frauen, die studieren wollten oder eine Berufsausbildung anstrebten. Der 1851 gegründete Verein gehörte zu den vielen seit Mitte des 19. Jahrhunderts entstehenden Frauenverbänden. Sie alle bildeten die Wurzeln der späteren jüdischen Frauenbewegung.

1938 verstarb Julius Zielenziger. Anna Zielenziger entschied sich, zu ihrem Sohn nach Amsterdam zu emigrieren. Damit begann ein entwürdigender Prozess der Enteignung durch die nationalsozialistischen Finanzbehörden. Im Mai 1939 wurde der 71-Jährigen die Ausreise schließlich gestattet. Nach der deutschen Besetzung der Niederlande 1940 begann die erneute Verfolgung der Familie. Anna Zielenziger wurde im Mai 1943 in das polizeiliche Durchgangslager Westerbork deportiert, wo sie im November an Krebs verstarb.

Auf Initiative des Frauenzentrums erinnert seit dem 9. März 2009 ein Stolperstein vor ihrem letzten Wohnort in der Potsdamer Gutenbergstraße 61 an die engagierte Vereinsvorsitzende.

Eine Straße nach Anna Zielenziger zu benennen ergab sich aus dem örtlichen Bezug zur ehemaligen Synagoge neben der Hauptpost am Platz der Einheit und dem 2025 eröffneten Synagogenzentrum in der Schloßstraße 8. Der Israelitische Frauenverein fertigte für das 1903 eingeweihte Gotteshaus unter anderem einen Altarvorhang und Decken zum Einhüllen der Thora. Zudem nutzte der Verein das „Hotel zum Einsiedler“, das sich bis 1945 in der Schloßstraße 8 befand, für Festlichkeiten.

(Jeanette Toussaint, 28.11.2025)

Weitere Informationen:

Jeanette Toussaint: Zwischen Tradition und Eigensinn. Lebenswege Potsdamer Frauen vom 18. bis 20. Jahrhundert. Hg. vom Autonomen Frauenzentrum Potsdam e.V. Potsdam 2009, S. 54-69.

Jeanette Toussaint: „Möge der Frauenverein blühen und gedeihen in alle Zukunft!“ Der Israelitische Frauenverein Potsdam und dessen Vorsitzende Anna Zielenziger, in: Elke-Vera Kotowski (Hg.): Salondamen und Frauenzimmer. Selbstemanzipation deutsch-jüdischer Frauen in zwei Jahrhunderten. Berlin/München/Boston 2016, S. 53-65.

https://potsdamerinnen-ins-licht.podigee.io/s1e2-neue-episode

https://www.potsdam.de/de/anna-zielenziger-geb-landsberger

 

Anna Flügge geb. Schütze

(*1885 Potsdam †1968 Potsdam)
1929 bis 1933 SPD-Stadtverordnete in Potsdam

Anna Flügge mit Tochter Margarethe, um 1908 © Ursula Demitter

Anna Flügge mit Tochter Margarethe, um 1908 © Ursula Demitter

 

Anna Flügge musste schon früh zum Familieneinkommen beitragen. So lernte sie nach dem Volksschulabschluss autodidaktisch Schreibmaschine schreiben und verdiente Geld, indem sie unter anderem wissenschaftliche Texte abtippte. Auch ihre kunstvollen Strickereien waren gefragt.

1906 heiratete sie Eduard Flügge, der als Tapezierer, Mineralwasserfabrikant und Installateur arbeitete. Sie übernahm eine Licht- und Seifen-Handlung in der Kirchstraße 13 (ehemalige Verbindung zwischen der Straße Am Alten Markt und Joliot-Curie-Straße). Von 1910 bis 1911 führte sie einen Laden in der Grünstraße 7 (Joliot-Curie-Straße). Ihre drei Kinder kamen zwischen 1907 und 1919 zur Welt.

Etwa 1919 trat Anna Flügge der SPD bei. Sie engagierte sich in der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und wurde Schriftführerin im SPD-Wahlverein. Von November 1929 bis März 1933 vertrat sie die Partei in der Stadtverordnetenversammlung. In ihre Legislaturperiode fiel der SPD-Antrag, die Dauer-Kleingartenkolonien in Potsdam zu erweitern. Hintergrund war die weit verbreitete Praxis von Landeigentümern, nur einjährige Pachtverträge abzuschließen und diese bei Bedarf zu kündigen. Anna Flügge kannte das aus eigener Erfahrung: Um die immer wieder fragile Versorgung mit Lebensmitteln auszugleichen, hatte sie mit ihrem Mann 1914 einen Kleingarten übernommen – auf einem zukünftigen Baugrundstück.

Nach dem Verbot der SPD im Juni 1933 und der Auflösung der AWO-Geschäftsstelle, mit anschließender Hausdurchsuchung, beendete Anna Flügge ihre politische Arbeit. Trotzdem wurde sie im Rahmen der Aktion „Gewitter“ im August 1944 verhaftet. Diese betraf ehemalige Funktionäre und Abgeordnete der Weimarer Republik, vorwiegend aus der SPD, KPD und der Gewerkschaft. Die Gestapo überstellte Anna Flügge ins KZ Ravensbrück, wo sie nach sieben Tagen wieder freikam.

1945 trat sie erneut der SPD bei und wurde 1946 in die SED übernommen. Eine Funktion hatte sie nicht mehr inne.

Der Vorschlag für die Benennung einer Straße nach Anna Flügge nahm Bezug auf den Ort, an dem sie als Abgeordnete im Stadtparlament tätig war: das Stadtschloss. Bereits 1919 hatte im nahegelegenen Palast Barberini die erste Stadtverordnetenversammlung Potsdams mit weiblichen Abgeordneten getagt. Außerdem befanden sich in unmittelbarer Nähe des Alten Marktes Anna Flügges Seifenhandlungen, die sie als junge Unternehmerin geführt hat.

(Jeanette Toussaint, 28.11.2025)

Weitere Informationen:

Jeanette Toussaint: Frauen! Fordert das Wahlrecht! Internationale Vorkämpferinnen & Politikerinnen in Potsdam und Brandenburg 1791 bis 1933. Potsdam 2019, S. 50/51.

Jeanette Toussaint/Ursula Demitter: Anna Flügge. Gegen die Verdrängung der Kleingärten, in: Willi Carl/Martin Gorholt/Sabine Hering (Hg.): Sozialdemokratie in Brandenburg (1868-1933). Lebenswege zwischen Aufbruch, Aufstieg und Abgrund. Bonn 2021, S. 250-262.

https://potsdamerinnen-ins-licht.podigee.io/s1e3-neue-episode

 

Dr. Erika Wolf geb. Engel

(*1912 Berlin †2003 Potsdam)
1946 bis 1976 CDU-Politikerin

Erika Wolf, 1960er Jahre © Privatbesitz

Erika Wolf, 1960er Jahre © Privatbesitz

 

Erika Wolf kam als Kind mit ihrer Mutter nach Potsdam. Sie studierte von 1932 bis 1937 Rechtswissenschaften und Sprachen in Lausanne, Marburg, London und Berlin. Anschließend promovierte sie. 1938 heiratete die junge Juristin Wilhelm Wolf, zu dieser Zeit Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Zauch-Belzig. Das Paar zog nach Berlin, übernahm einen Textilhandel und bekam zwischen 1939 und 1944 vier Kinder.

Nach dem Krieg war Erika Wolf in der Hauptverwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge der Sowjetischen Besatzungszone angestellt, ab 1949 im DDR-Ministerium für Arbeit und Gesundheitswesen.
1945 gründete sie mit weiteren Engagierten den CDU-Landesverband Brandenburg, dessen Vorsitz Wilhelm Wolf übernahm. Die CDU vertrat sie von 1946 bis 1950 auch als Stadtverordnete in Potsdam.

1948 kam Erika Wolfs Mann bei einem nie geklärten Unfall ums Leben. Kurz zuvor hatte er sich kritisch über die SED-Politik geäußert. Im Laufe der nächsten Jahre wurden ebenfalls kritische CDU-Mitglieder in Potsdam verhaftet; auch Erika Wolf drohte die Festnahme. Sie wurde gewarnt und konnte mit ihren Kindern 1950 in die Bundesrepublik fliehen.

Sie arbeitete zunächst für das Schwedische Hilfswerk. Von 1954 bis 1965 war sie bei der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen tätig, unter anderem in der Abteilung für Wiedergutmachung von NS-Unrecht und zuletzt als Regierungsdirektorin im Arbeits- und Sozialministerium. Sie gehörte von 1965 bis 1976 dem Bundestag an. In dieser Zeit übernahm sie den stellvertretenden Kuratoriumsvorsitz der Deutschen Stiftung für Entwicklungsländer und von 1972 bis 1976 den stellvertretenden Vorsitz des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Ehrenamtlich engagierte sie sich ab 1967 als Vizepräsidentin der Welthungerhilfe. Später war sie Mitglied der Deutschen UNESCO-Welterbe-Kommission.

Schon früh galt ihr Augenmerk der Gleichberechtigung von Frauen und Männern – sei es als Leiterin der Abteilung Frauen im Brandenburger CDU-Landesverband von 1945 bis 1948 oder als Abgeordnete des Bundestages.

Nach der politischen Wende 1989 unterstützte sie den Wiederaufbau des CDU-Landesverbandes Brandenburg. 1994 verlegte sie ihren Lebensmittelpunkt wieder nach Potsdam.
Die Nähe zum Brandenburger Landtag am Alten Markt prädestinierte sie für die Benennung einer Straße nach ihr.

(Jeanette Toussaint, 28.11.2025)

Weitere Informationen:

https://potsdamerinnen-ins-licht.podigee.io/s1e5-neue-episode

https://de.wikipedia.org/wiki/Erika_Wolf

https://www.cdu-brandenburg.de/Parteigeschichte_p_48.html