Pressemitteilung zum Internationalen Tag zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen am 25. November
Potsdam, 21.11.2025
Die Beendigung der Gewalt ist staatliche Pflicht und Aufgabe aller.
In den letzten fünf Jahren sind die polizeilich erfassten Zahlen häuslicher Gewalt um fast 14 Prozent gestiegen. Mit 6.790 Fällen haben sie 2024 auch im Land Brandenburg ein neues Hoch erreicht. Anlässlich des Internationalen Tags gegen geschlechtsspezifische Gewalt fordern das Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser (NbF), der Frauenpolitische Rat Land Brandenburg (FPR) und das Autonome Frauenzentrum Potsdam (AFZ) eine gemeinsame Kraftanstrengung: Geschlechtsspezifische Gewalt zu beenden liegt in der Verantwortung aller.
Jede dritte erwachsene Frau erfährt in ihrem Leben Gewalt oder hat sie erfahren, meist durch ihren Partner oder Ex-Partner. Statistisch gesehen kennen alle mindestens eine Frau, die betroffen ist. Statistisch gesehen kennen alle einen Mann, der Gewalt ausgeübt hat oder Gewalt ausübt. Gewalt ist keine Privatsache, sondern ein umfassendes gesellschaftliches Problem, das viele Ursachen und Beteiligte hat. Realität ist, dass in Deutschland trotz steigender Fallzahlen und wachsender sozialer Krisen viel zu wenig passiert.
Noch immer schieben sich Kommunen, Länder und Bund die Verantwortung dafür zu, dass in Deutschland rund 14.000 Frauenhausplätze fehlen.
Noch immer gibt es Polizist*innen, die bei einem Einsatz wegen häuslicher Gewalt nur ein ermahnendes Wort sprechen.
Noch immer erlauben Familiengerichte dem Vater Umgangs- oder gar Sorgerecht, weil er „nur“ die Frau, nicht aber die Kinder geschlagen hat.
Noch immer tun Politiker*innen so, als sei der gefährlichste Ort für eine Frau die Fußgängerzone der Innenstadt und nicht das eigene Zuhause.
Noch immer drehen Nachbar*innen lieber den Fernseher lauter, wenn nebenan geschrien wird, statt sich einzumischen oder die Polizei zu rufen.
Noch immer hören Betroffene „Warum hast du dich nicht viel früher getrennt?“.
Noch immer wachsen Jungen in diesem Land mit Besitz-, Macht- und Überlegenheitsansprüchen gegenüber Frauen, Mädchen und queeren Menschen auf.
Und dennoch müssen sich Gleichstellungs-, Schutz- und Präventionsstrukturen rechtfertigen und um ihre finanzielle Sicherung bangen und kämpfen, anstatt politisch abgesichert ihrer so wichtigen Arbeit nachzugehen.
Dieser Zustand ist unerträglich. Er ist allzu oft tödlich. Um geschlechtsspezifische Gewalt zu beenden, fordern das Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser, der Frauenpolitische Rat Land Brandenburg und das Autonome Frauenzentrum Potsdam einen umfassenden Bewusstseinswandel: Alle müssen in die Verantwortung gehen und ihren Teil dazu beitragen, geschlechtsspezifische Gewalt zu beenden.
Friederike Arndt, Geschäftsführerin des FPR, dazu: „Frauenrechte sind Menschenrechte – und ihre Umsetzung ist keine freiwillige Leistung, sondern Pflicht. Gewaltprävention darf kein Projekt für gute Zeiten sein, sondern muss Kern staatlichen Handelns werden, denn Gewaltprävention beginnt mit Gleichstellungspolitik.“
Michaela Rönnefahrt, Vorstandsfrau des Netzwerks der brandenburgischen Frauenhäuser und Mitarbeiterin des Frauenhauses Neuruppin, dazu: „Wir unterstützen die Frauen und Kinder auf ihrem Weg in ein gewaltfreies Leben, so gut wir können. Viel zu oft werden uns dabei Steine in den Weg gelegt. Dabei dürfte unsere Arbeit nur das letzte von vielen Puzzlestücken sein, das häusliche und partnerschaftliche Gewalt erkennt, interveniert und die Betroffenen unterstützt.“
Geschäftsführerin Katrin Aechtner vom Autonomen Frauenzentrum Potsdam sagt: „Es sind so viele Menschen betroffen, von partnerschaftlicher Gewalt, aber auch von geschlechtsspezifischer Diskriminierung und anderen Ausschlüssen. Sie zu empowern und ihnen zu zeigen: Du bist nicht allein, wir glauben dir, und du bist nicht das Problem – das ist unser Ziel, daran arbeiten wir mit unseren Projekten und unseren Gruppen.“
Die drei Organisationen haben im März 2025 zwei Etagen am Alten Markt 6 bezogen, wo auch Räume für Treffen, Tagungen, Ausstellungen und Veranstaltungen zur Verfügung stehen. Hier werden Ressourcen geteilt und neue Ideen entwickelt mit einer Vielzahl weiterer Akteur*innen. So können verschiedene Ansätze und Perspektiven ineinandergreifen und neue Kraft und Wirksamkeit entfalten.
Mit dem Internationalen Tag zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen wurde ein Tag im Jahr etabliert, an dem sich Politik und Institutionen mit geschlechtsspezifischen Menschenrechtsverletzungen auseinandersetzen. Klar ist jedoch auch: Gewaltschutz darf nicht nur an einem Tag im Jahr stattfinden, sondern ist ein täglicher, solidarischer Kampf. Politische Bekenntnisse gegen geschlechtsspezifische Gewalt entfalten nur dann Wirkung, wenn die umsetzenden Strukturen für Gleichstellung, Schutz und Prävention gesichert sind.
Kontakt und Nachfragen an:
| Maren Küster
Koordinatorin für Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser e.V. 0331 – 813 298 47 |
Klara Moschütz
Referentin für Öffentlichkeitsarbeit und feministische Kultur Frauenpolitischer Rat Land Brandenburg e.V. Alter Markt 6 0331 – 2803581 |
Hanna Steiner
Mitarbeiterin für Vernetzung und Kommunikation
Autonomes Frauenzentrum Potsdam e.V. Alter Markt 6 14467 Potsdam
0331 – 967 93 29 |
Hintergrund:
Das sogenannte Hellfeld häuslicher Gewalt ist in den polizeilichen Kriminalstatistiken erfasst. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik Brandenburg[i] nahmen im Jahr 2024 die Fallzahlen im Zusammenhang mit Häuslicher Gewalt sowohl im Zweijahres- (7,4 % bzw. 465 Fälle) als auch im Fünfjahresvergleich (8,6 % bzw. 538 Fälle) auf 6.790 Fälle zu. Etwa zwei Drittel der Fälle der Häuslichen Gewalt waren Körperverletzungen, zugenommen haben auch verzeichnete Bedrohungen (+12,4 % auf 1.054 Fälle). Im Jahr 2024 wurden 17 Fälle von Mord und Totschlag registriert, davon sechs vollendete Femizide. Fälle der Häuslichen Gewalt finden größtenteils in der Partnerschaft statt (68,2 %). Frauen sind weitaus häufiger als Männer[ii] betroffen, bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Nachteile waren über 80% der Opfer weiblich.
Studien gehen davon aus, dass das Dunkelfeld bei geschlechtsspezifischer und sexualisierter Gewalt generell immer um ein Vielfaches höher ist. Die sogenannte Viktimisierungsstudie (2022)[iii] des BKA beispielsweise stellt fest, dass bei Sexualdelikten nur 1% der Taten angezeigt werden, während Wohnungseinbrüche zu zwei Dritteln und Gewaltdelikte allgemein immerhin zu gut einem Drittel angezeigt werden. Grund hierfür ist viel zu oft ein fehlendes Vertrauen in die Ermittlungsbehörden und Justiz, Angst vor dem Täter sowie der „Wunsch die Tat zu vergessen“ – alles Gründe, die auf die vorhandene Verschränkung von institutioneller, struktureller und interpersoneller Gewalt verweisen.
[i] Polizeipräsidium des Landes Brandenburg: Polizeiliche Kriminalstatistik 2024, 21. März 2025, online: https://mik.brandenburg.de/sixcms/media.php/9/PKS_2024_Stand21032025.pdf, S. 88.
[ii] Die polizeilichen Statistiken weisen lediglich zwei Geschlechter aus. Der Anteil von Betroffenen (und Täter*innen) von nicht-binären und intergeschlechtlichen Menschen bzw. Menschen mit Geschlechtseintrag „divers“ oder „ohne Angabe“ ist uns unbekannt.
[iii] Birkel, Christoph; Church, Daniel; Erdmann, Anke; Hager, Alisa; Leitgöb-Guzy, Nathalie (2022): Sicherheit und Kriminalität in Deutschland – SKiD 2020. Bundesweite Kernbefunde des Viktimisierungssurvey des Bundeskriminalamts und der Polizeien der Länder. Hg. v. Bundeskriminalamt. Wiesbaden.