Heiderose Gerber

Kellnerin, Dramaturgin, Jahrgang 1958

Beate Müller und Heiderose Gerber (2. u. 3.v.l.) bei Protesten gegen die Streichung von Fördergeldern für Frauenprojekte durch das brandenburgische Frauenministerium, 7. September 1995 © Frauenzentrum Potsdam, Foto: Christel Köster

Heiderose Gerber leitet seit 1991 das Potsdamer Frauenzentrum.[1] Begonnen hat es mit dem Aufruf der Potsdamer Gemeindepädagoginnen zu einem Frauentreffen am 10. Dezember 1989, angeheftet an einen Baum: Frauen sollen aus der Vereinzelung heraustreten, gemeinsame Interessen artikulieren und durchsetzen. Heiderose Gerber fühlt sich angesprochen, denn das offizielle DDR-Frauenbild sieht sie kritisch und wünscht sich den Austausch mit Gleichgesinnten. Die erste Zusammenkunft empfindet sie als sehr zielorientiert und konstruktiv. Heiderose Gerber schließt sich der Arbeitsgruppe Frauenzentrum an und gründet im Dezember 1989 die Unabhängige Fraueninitiative mit: „[…] weil mir am Herzen lag, dass man Räume findet, wo man sich treffen kann, miteinander reden und auch Alltagssachen austauschen kann. […] Es gab ja im Osten diese berühmten Schlangen an den Kaufhallen, und alle Frauen standen immer vereinzelt mit ihren Kindern in den Kaufhallen, diese schreienden Kinder vor irgendwelchen Kassen und woanders hat man die aber nicht getroffen […], um mal einfach so von Frau zu Frau sich auszutauschen. Und dann fand ich, muss es Räume geben, um politisch wirksam zu werden“.[2] Der Unabhängigen Fraueninitiative eröffnen sich diese Möglichkeiten ab April 1990 in der ehemaligen Diabetikerzentrale in der Leninallee 189 (Zeppelinstraße).

Ursprünglich will Heiderose Gerber Philosophie studieren. Sie genießt die Diskussionen über das Leben und die Welt in der alternativen Szene ihrer Heimatstadt Magdeburg. Sie trampt mit ihrer Freundin durchs Land; noch heute lacht sie, wenn sie an die Rollenerwartungen für Mädchen damals denkt: Stricken, Häkeln, den Jungs beim Erzählen ihrer Abenteuer zuhören. Der Zugang zur Hochschulreife wird ihr verwehrt, denn ihre Eltern betreiben eine private Gärtnerei. Sie regt die Eingabe des Vaters an, darauf öffnet sich die Tür zur Berufsausbildung mit Abitur. Allerdings: Nach dem Philosophiestudium soll sie Staatsbürgerkunde unterrichten. Da entscheidet sie sich lieber für eine Ausbildung zur Chemiefacharbeiterin, erhält jedoch eine Ablehnung. Letzte Alternative: Kellnerin mit Abitur in Potsdam. Dort hört sie von der Babelsberger Filmhochschule, ist begeistert, macht ein Volontariat bei der DEFA. Von 1980 bis 1984 studiert Heiderose Gerber an der Hochschule für Film und Fernsehen, ist danach als Dramaturgie-Assistentin bei der DEFA tätig: spannende Stoffentwicklung für Filme, Mitwirkung in der DEFA-Nachwuchsgruppe, die sich um Reformen bemüht. Die Situation von Frauen will sie auf die Leinwand bringen, sammelt Material über junge Ehen, plant mit Gabriele Grafenhorst, einer späteren Mitstreiterin in der Fraueninitiative, einen Film über einen alleinerziehenden Vater. Das ist in der DDR eigentlich kein Thema. Am Ende wird ein Dokumentarfilm realisiert – nach 1989. Auch in der Gesellschaft bewegt sich nichts, es herrscht eine bleierne Zeit, viele verlassen das Land. Doch Heiderose Gerber würde gern in der DDR etwas verändern, denkt an den Demokratischen Frauenbund Deutschlands: „Das war aber so ein rigides Frauenbild mit sehr vielen Vorschriften und Regeln, wie das so im Osten war. Jedenfalls entsprach das überhaupt nicht meinen Vorstellungen. […] Und dann war ja diese verrückte Zeit, wo man nicht so richtig wusste, was passiert jetzt in diesem Land? Irgendwas passiert, aber was, weiß man nicht. […] ich hätte ja eher vermutet, dass es irgendwie noch so ein Rollback der DDR-Oberen gibt, die so ähnlich wie in Peking restriktiv zuschlagen. Dann kam […] die Maueröffnung und in der Zeit bewegte sich ja dann ganz viel.“[3] Allerdings in die falsche Richtung; sie ist enttäuscht über die schnelle Vereinigung der DDR mit der Bundesrepublik, in der materielle Werte wichtiger sind als politische Ziele.

Wie alle DEFA-Angestellten wird Heiderose Gerber im März 1991 entlassen. Das Skript für ihren Film „Das Herz der Giraffe“ verschwindet in der Schublade. Freiberuflichkeit kommt nicht in Frage. Als Alleinerziehende – ihr Sohn ist sechs Jahre alt – wäre sie zu unflexibel. „Außerdem hatte ich genug gewartet“, resümiert sie, „ich wollte etwas Sinnvolles tun.“[4] Im Frauenzentrum wird sie von den Mitarbeiterinnen gebraucht, das Café im Haus ist seit Sommer 1990 eröffnet, Gruppen treffen sich, die ersten Schutzwohnungen sind bezogen. Doch kann der ehrenamtliche Vorstand nur bedingt vor Ort sein. Eine Koordinatorin fehlt. Im April 1991 übernimmt Heiderose Gerber diese Aufgabe. Eine anstrengende und schöne Zeit, erinnert sie sich: „wir dachten, wir können die Welt aus den Angeln heben.“[5]

Neben ihrem Engagement im Frauenzentrum ist Heiderose Gerber in vielen Gremien aktiv: als Vertreterin der Landesarbeitsgemeinschaft Frauenzentren im Vorstand des Frauenpolitischen Rates und als Mitglied der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit. In einem Beirat des Landes Brandenburg hilft sie Frauen, die Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution wurden. Zudem kämpft sie für die bessere Unterbringung von weiblichen Flüchtlingen und gehört zur kommunalen Wählergruppe „DIE aNDERE“.
1993 tritt sie wieder als Filmfrau in Erscheinung: Zusammen mit Magda Greßmann entsteht „Schirm auf, wenn du springst“ über die Geschichte des Frauenzentrums.

Gefragt, ob sie zwischendurch noch mal eine berufliche Veränderung wollte, sagt sie: „Ja, wenn mir das ein bisschen über den Kopf gewachsen ist. Du hast ja viele Bereiche, die du inhaltlich abdecken musst: Mädchen- und Jugendbildung, Kultur, Soziales und Politik. Das macht es spannend. Aber du musst dich auch immer wieder in neue Zusammenhänge einarbeiten. Rückschläge gab’s ständig. Wir wollten ja immer mehr. Dadurch war es nicht immer einfach. Wir haben uns hochgekämpft. Das Anstrengende ist, Professionalität reinzukriegen – dass es dem entspricht, was du erreichen willst.“[6]
2006 erhält sie von ihren Kolleginnen den Hexenbesen für ihr nachhaltiges Wirken, aber vor allem – so die Mitarbeiterinnen und der Vorstand des Frauenzentrums – weil Heiderose Gerber Menschen zusammenbringt, die gegensätzliche Meinungen haben.

Das Frauenzentrum vereint inzwischen mehrere Projekte. Jahrelanges Engagement, kreatives Miteinander, Rückschläge und finanzielle Unsicherheit stecken darin, aber vor allem das Verhandlungsgeschick von Heiderose Gerber, diplomatisch und hartnäckig zugleich. 2019 wird sie auch dafür mit einem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Potsdam geehrt. Sie gehöre zu denjenigen, die mit ihren „Lebenslinien“ wichtige Akzente in der Landeshauptstadt gesetzt haben, heißt es in der Begründung.[7] Eine andere Frau hätte eine solche Würdigung ebenfalls verdient, findet Heiderose Gerber und schreibt ins Buch: „Für alle mutigen Frauen, im Gedenken an Gisela Opitz.“

9. Juni 2021

 

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[1] Der Text basiert auf der Kurzbiografie über Heiderose Gerber in: Jeanette Toussaint: Ein Besen für mutige Frauen. Siebenundzwanzig Gesichter und ein Preis. Publikation zum 25-jährigen Jubiläum des Autonomen Frauenzentrums Potsdam. Potsdam 2016, S. 90/91.
[2] Interview von Jeanette Toussaint mit Heiderose Gerber am 7.1.2020.
[3] Ebd.
[4] Interview von Jeanette Toussaint mit Heiderose Gerber am 27.11.2015.
[5] Ebd.
[6] Ebd.
[7] Birte Förster: Vier Potsdamer für das Goldene Buch, in: PNN, 25.1.2019 (https://www.pnn.de/potsdam/ehrung-vier-potsdamer-fuer-das-goldene-buch/23907022.html, 9.7.2020); Aufzeichnung der Veranstaltung vom 25.1.2019: https://www.youtube.com/watch?v=sOEsVYJNo8o, 9.7.2020.