Elfi Wiedemann (geb. Huber)
Diplom-Ingenieurin für Elektrotechnik, Wissenschaftlerin, Verwaltungsangestellte, Jahrgang 1948
Elfi Wiedemanns Arbeitsleben beginnt in einem für Frauen bis heute untypischen Beruf: Elektrikerin. Schuld ist ihre Mutter, die meint, ihre Tochter müsse etwas Praktisches erlernen. Gärtnerin kommt für das Mädchen nicht in Frage, denn die Eltern haben eine Landwirtschaft. Da kennt sie sich aus. Später studiert sie, engagiert sich frauenpolitisch, wird erste Gleichstellungsbeauftragte des Landes Brandenburg.
1948 im thüringischen Triptis auf die Welt gekommen, macht Elfi Huber, so ihr Geburtsname, Abitur mit Berufsausbildung. Die Praxis absolviert sie im Stahl- und Walzwerk Maxhütte in Unterwellenborn, die Theorie in einer Internatsschule in Wickersdorf im Thüringer Wald. Eine rote Schule, wie sie betont, später Ausbildungsstätte für Russischlehrer*innen. Freund*innen raten ihr zur Bewerbung an der Potsdamer Akademie für Staat und Recht. Da könne sie Diplomatin werden. Sie tut es, wird jedoch abgelehnt. Heute ist Elfi Wiedemann froh darüber. Stattdessen studiert sie Elektrotechnik an der Technischen Universität Dresden, geht dann zur Berliner Humboldt-Universität – um kurz darauf ein Theologiestudium aufzunehmen. Ein Widerspruch? Wahrscheinlich nicht, ist Elfi Wiedemann doch evangelisch erzogen worden. Während des Abiturs nimmt sie an einem Sommerlager der „Aktion Sühnezeichen“ in Dresden teil, gehört danach zweimal zum Leitungsteam. „Und da ist bei mir irgendwann der Wunsch, den theologischen Hintergrund viel besser ausleuchten zu können, entstanden. Und dann hab ich angefangen, in Berlin parallel zu meiner Arbeit noch die alten Sprachen am Sprachenkonvikt zu machen, also Griechisch, Latein und dann bin ich nach Naumburg gegangen und hab quasi alles hinter mir gelassen. So und das hätte ich auch durchgezogen, aber dann bin ich schwanger geworden“.[1]
Im Frühjahr 1974, nach der Geburt des ersten Kindes, zieht Elfi Wiedemann nach Potsdam. Tagsüber arbeitet sie im VEB Geräte- und Reglerwerke Teltow. Abends lernt sie für ihr theologisches Fernstudium. 1976 kommt ihr zweites Kind zur Welt. Sie wechselt ans Zentralinstitut für Astrophysik in Potsdam, beginnt dort in den 1980er Jahren mit einer Promotion. Darin integriert ist eine Ausbildung in Marxismus-Leninismus, die sie im August 1989 mit einer Studie über Wissenschaftlerinnen an ihrem Institut abschließt. In diesem Kurs trifft Elfi Wiedemann auf Kolleginnen der Akademie der Wissenschaften. Eine von ihnen erzählt ihr später von der geplanten Gründung eines Unabhängigen Frauenverbandes (UFV) in Berlin. Da wirkt sie bereits in der Gruppe „Kontakte“ mit, die den Wahlbetrug in der DDR im Mai 1989 aufdecken will und sich dazu regelmäßig im Haus des Pfarrerehepaars Flade in der Babelsberger Friedrichskirchengemeinde trifft.[2] Dort nimmt Elfi Wiedemann auch am Frauenbibelkreis bei Annette Flade teil.
Zum Neuen Forum findet sie über zwei der Mitgründer*innen – ihre Kollegen Reinhard Meinel und Rudolf Tschäpe vom Zentralinstitut für Astrophysik. Trotz Angst um ihre Kinder, die sie inzwischen allein erzieht, setzt sie im September 1989 ihre Unterschrift unter die Forderung nach Zulassung des Forums als politische Vereinigung.
Elfi Wiedemanns Fokus liegt auf der Frauenpolitik: Sie fährt am 3. Dezember 1989 nach Berlin zur Gründung des UFV, ruft zehn Tage später mit zwei Mitstreiterinnen die Arbeitsgruppe Frauenpolitik im Neuen Forum ins Leben und schließt sich im selben Monat der Unabhängigen Initiative Potsdamer Frauen (UIPF) an. Als eine der wenigen besitzt sie ein Telefon und fungiert daher als Kontaktfrau und zeitweilige Sprecherin der Fraueninitiative.[3] Unangenehm sind ihr die Anrufe von „Frauen, die entweder in der SED waren oder ganz SED-nah in Strukturen und die versucht haben, großen Einfluss zu nehmen“.[4] Damit meint sie vor allem deren Interesse an zukünftigen Posten.
Dass sich Elfi Wiedemann in den folgenden Monaten vor allem im Bereich Wissenschaft und Forschung engagiert, liegt an ihrer Berufsbiografie. Für das Neue Forum geht sie im Frühjahr 1990 in die Arbeitsgruppe Wissenschaft, Bildung, Kultur und Forschung der Kommission Frauenfragen beim Bezirkstag Potsdam.[5] Diese Schwerpunkte vertritt sie gleichzeitig in der Arbeitsgruppe Frauenpolitik im provisorischen Regionalausschuss Berlin, hier als Mitglied der UIPF.[6]
Nach der Volkskammerwahl im März 1990 bewirbt sich Elfi Wiedemann erfolgreich auf eine Stelle in der Verwaltung des neu geschaffenen Ministeriums für Familie und Frauen – eine Senatsmitarbeiterin aus dem Regionalausschuss motiviert sie zu diesem Schritt. Dafür bricht sie ihre Dissertation ab. Auch beendet sie ihre Mitwirkung in der Fraueninitiative, denn fortan steht sie auf Seiten der Förderer. Dazu kommt Unzufriedenheit mit der Gruppe: „[A]lso irgendwie habe ich mich nicht mehr so zuhause gefühlt in der Unabhängigen Initiative. Ich fand, es waren unterschwellig Konflikte und Entwicklungen, die mir nicht so gut gefallen haben.“[7]
Nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten am 3. Oktober 1990 wird sie ins Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend übernommen. Plötzlich hat sie das Gefühl von Stagnation. Es wird viel Papier produziert und nichts umgesetzt. Außerdem hätte sie mit dem Ministerium nach Bonn ziehen müssen. Das möchte sie auch wegen ihrer Kinder nicht. So bewirbt sie sich in der Brandenburgischen Landesregierung. Hier baut sie ab Januar 1991 mit zunächst zwei Kolleginnen die Abteilung Frauen und Gleichstellung im Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen auf; Ende des Jahres sind dort bereits 21 Angestellte tätig.[8] Doch es ist nicht immer einfach, die „andere“ Seite zu verkörpern und über Frauenförderung auch in Potsdam zu entscheiden. Ehemalige Mitstreiterinnen erleben sie als passiv und ängstlich, wünschen sich mehr Präsenz und Durchsetzungsvermögen.
1992 wird Elfi Wiedemann zur ersten Landesgleichstellungsbeauftragten gewählt, nun als SPD-Mitglied. Von 1997 bis März 2005 arbeitet sie wieder als Leiterin der Abteilung Gleichstellung, Frauen und Familie. 2005 wird sie Koordinatorin für Antidiskriminierungsfragen, 2009 geht sie in Rente. Es beginnt eine schwere Zeit, denn ihre Tochter leidet an einer Autoimmunerkrankung, an der sie 2016 stirbt. Elfi Wiedemann braucht lange, um sich von diesem Schicksalsschlag zu erholen.
Die Entwicklung in Deutschland, die Flüchtlingskrise, all das sieht sie skeptisch, als ich sie 2020 besuche. Elfi Wiedemann fürchtet, der islamische Einfluss könnte wachsen und Frauenrechte einschränken. Welchen Sinn hätte ihre politische Initiative dann gehabt? „[W]ir haben einiges erreicht, also sogar vieles erreicht, was aus meiner Sicht heute wahrscheinlich alles oder in den nächsten Jahren den Bach runtergeht. Das betrübt mich sehr.“[9]
29. Januar 2022
[2] Reinhard Meinel/Rudolf Tschäpe: Aufbruch in die Demokratie. Das Neue Forum, in: Sigrid Grabner/Hendrik Röder/Thomas Wernicke (Hg.): Potsdam 1945-1989. Zwischen Anpassung und Aufbegehren. Potsdam 1999, S. 147-153, hier S. 148.
[3] Robert-Havemann-Gesellschaft, Archiv der DDR-Opposition (RHG), A/132 Potsdam/Gründung UIPF: Antrag auf staatliche Anerkennung der UIPF als Vereinigung, 2.1.1990; Dörte Wernick, Informationen über die UIPF, zusammengestellt für die erste öffentliche Veranstaltung der Fraueninitiative am 28.1.1990.
[4] Interview von Jeanette Toussaint mit Elfi Wiedemann am 7.7.2020.
[5] RHG, A/130 Kommission Frauenfragen, Bezirkstag Potsdam 1990.
[6] Jeanette Toussaint, Protokolle der Sitzungen der AG Frauenpolitik im provisorischen Regionalausschuss, Februar bis Juni 1990.
[7] Interview von Jeanette Toussaint mit Elfi Wiedemann am 7.7.2020.
[8] Elfi Wiedemann: Das erste Jahr Frauenpolitik der Landesregierung Brandenburg, in: betr: Frauen, hg. vom Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen, nr. 1 (1991), S. 9/10, hier S. 9.
[9] Interview von Jeanette Toussaint mit Elfi Wiedemann am 7.7.2020.