Beate Müller

Gemeindepädagogin, Supervisorin, Coach, systemische Beraterin, Jahrgang 1968

Beate Müller, um 1989 © Beate Müller

„Wir waren alle high über das, was es an Resonanz gebracht hat.“ erinnert sich Beate Müller, als sie vom ersten Frauentreffen am 10. Dezember 1989 in der Ausbildungsstätte für Gemeindepädagogik erzählt.[1] Mehr als doppelt so viele Frauen seien gekommen, als die vermuteten 30 oder 40. Sie und ihre Kommilitoninnen haben zu tun: Stühle stellen, Mikros besorgen, Getränke holen…21 Jahre alt ist die gebürtige Potsdamerin da und angehende Gemeindepädagogin. Sie ist überwältigt von den unterschiedlichen Frauen und ihren Ideen. Überhaupt ist die Zeit zwischen 1987 und 1990 eine erfahrungsreiche. Da sie erst mit 20 Jahren den Beruf der Gemeindepädagogin erlernen kann, absolviert sie nach dem Abitur ein Vorpraktikum im Kirchenkreis Potsdam. Die Erlösergemeinde kennt sie bereits, denn dort singt sie im Chor und geht zur Jungen Gemeinde. Die verschiedenen kirchlichen Gruppen, die sich kritisch mit der DDR auseinandersetzen, nimmt sie nun und im anschließenden Studium stärker wahr. Sie selbst kennt die Schikanen aus der Schule, insbesondere, wenn im Fach Staatsbürgerkunde versucht wurde, sie und einen weiteren konfessionell gebundenen Mitschüler in Diskussionen um ihren Glauben zu verwickeln.

Warum sie sich ausgerechnet der Unabhängigen Initiative Potsdamer Frauen anschließt, kann Beate Müller nicht mehr genau rekonstruieren. Wichtig ist ihr die Zusammenarbeit mit Frauen. Diese sei intensiver als in gemischtgeschlechtlichen Gruppen; auch gäbe es ähnliche Themen. In der Ausbildungsstätte und ihrem näheren Umfeld befassen sich zudem Frauen wie Dörte Wernick und Almut Hoffmann mit frauenspezifischen Belangen, vor allem im Hinblick auf mögliche gesellschaftliche Veränderungen. Dann beginnen die Vorbereitungen zum ersten Treffen bei den Gemeindepädagogen: „[…] und ich kriegte das mit und merkte so einen ganz starken inneren Impuls: Da passiert gerade was ganz Besonderes und irgendwie will ich dabei sein […] Da waren aber nicht nur Frauen involviert, da waren auch Männer aktiv. […] Viele waren in verschiedenen Aktionen, und man hörte natürlich voneinander und gab sich gegenseitig Ratschläge, was man jetzt wie am besten anpackt, […] was man beachten muss, […] das war ja alles noch ungeschützt. Also es war ja immer noch die Frage, ist da noch ein Stasi-Mensch dazwischen, und wer ist hier eigentlich überhaupt in der Ausbildungsstätte vertrauenswürdig? Wir wussten, dass immer irgendwo jemand dabei ist, der die ‚Löffel‘ ganz groß aufhat […] Und dann haben wir gesagt, egal, so ist es jetzt, ist ein geschützter Rahmen, die Dozenten mussten involviert werden, klar. Und auffällig genug waren wir eh in der Ausbildungsstätte, weil wir so ein Sonderausbildungsgang waren“.[2]

Beate Müller wird schnell klar: Ein Frauenzentrum wäre wichtig in Potsdam und da will sie mitarbeiten; später kommt noch die Idee eines Frauengesundheitszentrums dazu. Den Weg in die Politik strebt sie nicht an, das Praktische liegt ihr mehr, Organisieren, Koordinieren, Kommunizieren. Auch das Logo der Initiative und ein Teil des Informationsmaterials stammen aus ihrer Hand. Beate Müller wirkt gern in der zweiten Reihe. Nie hätte sie sich vorstellen können, vor vielen Menschen zu reden, so wie es heute selbstverständlicher Teil ihres Berufes als Leiterin der Potsdamer Telefonseelsorge ist.

Als das Haus für das künftige Frauenzentrum in der heutigen Zeppelinstraße 189 gefunden ist, übernimmt sie ehrenamtlich die Baustellenbetreuung – ihre erste größere Aufgabe – wie sie lächelnd erzählt. Sie geht mit dem Elektriker durch das Gebäude, bespricht mit dem Klempner die Veränderungen, stimmt sich mit der Architektin ab. In die ersten Räume zieht im Juni 1990 das Frauencafé ein; den letzten Schliff verleiht ihnen Beate Müller gemeinsam mit Lea Edelmann und Jeanette Toussaint, mit denen sie das Café im ersten Jahr betreibt. Außerdem löst sie im Frühjahr 1990 Dörte Wernick als Teilnehmerin am Runden Tisch des Bezirkes ab. Das alles bewältigt Beate Müller neben ihrem Praktikum als Gemeindepädagogin in Brandenburg/Havel. Der sie betreuende Kreisjugendpfarrer Bertram Althausen hat für ihr Engagement Verständnis, denn er selbst ist in Brandenburg/Havel im Neuen Forum aktiv.[3] Auch entstehen dadurch Synergien zu einer dortigen Frauengruppe, die sich wie die Potsdamer Initiative dem Unabhängigen Frauenverband angeschlossen hat. „Und dann waren wir noch tanzen abends und haben die Nacht durchgemacht, um dann morgens um acht wieder mit dem Kopf auf dem Schreibtisch im Studium zu landen oder Blumen zu binden. […] Also wir haben einfach wenig geschlafen und die Energie kam woanders her. […] Überall war Revolutionsstimmung oder Aufbruch oder Neudenken.“[4] Umso größer war nicht nur bei ihr die Enttäuschung über die schnelle Vereinigung beider deutscher Staaten, bei dem das Neue, das sich Entwickelnde der Anpassung an das gesellschaftliche System der alten Bundesrepublik weicht.

Beate Müller entscheidet sich nach ihrer Ausbildung gegen das zweite Staatsexamen und damit gegen eine Laufbahn als Pfarrerin. 1993 beginnt sie im Potsdamer Frauengesundheitszentrum „Ringelblume“ als Projektkoordinatorin. Die Gründerinnen dieses bis Ende des Jahres 2000 existierenden Vereins kommen ebenfalls aus der Fraueninitiative.

Ehrenamtlich bringt sich Beate Müller in verschiedene Projekte des Frauenzentrums ein: Sie unterstützt weiterhin das Café, wird Vorstandsmitglied und baut den Telefonnotruf für Frauen und Kinder mit auf, der von 1992 bis 2000 im Haus beheimatet ist. Daneben studiert sie an der Fernuniversität in Hagen Psychologie und Recht – und erfüllt sich damit einen lang gehegten Wunsch. Bereits als Schülerin hatte sie sich zweimal für Medizin und Psychologie beworben, war jedoch aufgrund der wenigen Studienplätze chancenlos geblieben. Auch gehörte sie nicht zur bildungspolitisch bevorzugten Arbeiterklasse, da ihr Vater eine private Klempnerei betrieb – und sie engagierte sich in der evangelischen Kirche. Paramentik – die Herstellung liturgischer Textilien – hätte ihr auch gefallen, nur sind die Zugangshürden hier ebenfalls hoch.[5]
Doch nun setzt sie den Schwerpunkt auf Kommunikation. Beate Müller arbeitet in den nächsten Jahren in der Beratungsstelle des Frauenzentrums, im Frauenpolitischen Rat, in der politischen Bildung, und sie bietet Schulungen zur Projektentwicklung an. Erfahrungen hat sie darin ausreichend. Außerdem berät sie Frauen bei gesundheitlichen Problemen im Frauengesundheitszentrum. Daneben qualifiziert sie sich weiter: Supervision, Coaching und systemische Beratung. Das alles erfordert Organisationstalent, zumal sie inzwischen Mutter von drei Söhnen ist. Alles in allem ein reicher Erfahrungsschatz. Und den kann Beate Müller gut gebrauchen, als sie 2004 mit der Leitung der Potsdamer Telefonseelsorge betraut wird.

9. Juni 2021

 

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[1] Interview von Jeanette Toussaint mit Beate Müller am 28.1.2020.
[2] Ebd.
[3] Ralf-Stephan Rabe: Die Jugendgruppe Neues Forum während der Wende 1989/90 in der Stadt Brandenburg (Havel). Historischer Verein Brandenburg (Havel) e.V. 2013 (http://hvbrb.de/fileadmin/user_upload/dokumente/JugendgruppeNF.pdf, 8.6.2020).
[4] Interview von Jeanette Toussaint mit Beate Müller am 28.1.2020.
[5] Gespräch von Jeanette Toussaint mit Beate Müller am 9.6.2020.