Rosemarie Döhle (geb. Stuck)

Krankenschwester, Physiotherapeutin, Verwaltungsangestellte, Jahrgang 1949

Passbild für Rosemarie Döhles ersten Dienstausweis im brandenburgischen Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen, 1991 © Rosemarie Döhle

Im Frühjahr 2019 rief mich Rosemarie Döhle an. Ob ich nicht mal etwas zur Arbeitsgruppe Frauen des Provisorischen Regionalausschusses Berlin schreiben könnte, der sie 1990 als Mitglied der Unabhängigen Initiative Potsdamer Frauen angehörte. Die Geschichte geriete sonst in Vergessenheit. Damals hatte ich keine Zeit, und Geld stand auch nicht bereit für solch ein Projekt. Das hatte sich ein halbes Jahr später geändert. Die Finanzierung der Forschungen zur Potsdamer Frauenbewegung war gesichert, und ich konnte sie einladen, mir ihre Erinnerungen zu erzählen.

Rosemarie Döhle wächst in Drahnsdorf auf und geht in Dahme/Mark zur Schule. Abitur darf sie nicht machen, denn sie ist kein FDJ-Mitglied, lehnt die Jugendweihe ab und betätigt sich in der Kirche. Außerdem führt ihr Vater einen privaten Handwerksbetrieb. Gern würde sie einen sozialen Beruf ergreifen. In der Kirchengemeinde von Dahme hört sie von einer Ausbildungsalternative: Krankenschwester im Babelsberger Oberlinhaus. Kurzerhand fährt sie hin, bewirbt sich und wird wegen ihrer guten Noten sofort genommen. Bereits als junge Absolventin ist Rosemarie Döhle für eine Männerstation mit 64 Betten verantwortlich. Anstrengend sei das gewesen. Zumal sie seit 1970 auf der Abendschule ihr Abitur nachholt. 1971 kommen ihre Zwillinge zur Welt. Sie arbeitet nun verkürzt und schult zur Physiotherapeutin um. Eine Erbkrankheit bricht aus, 1983 muss sie in Frührente gehen. Die positive Seite: Fahrten nach Westberlin sind nun möglich. Das nutzt sie ausgiebig und genießt vor allem die Kunstszene. Hier trifft sie auch Menschen wieder, die Potsdam verlassen haben. Sie beginnt, Künstler*innen aus Ost und West zu vernetzen.

Der Auslöser, sich politisch einzubringen ist die Demonstration am 7. Oktober 1989 in Potsdam, bei der ihre Töchter verhaftet werden. Schnell wird Rosemarie Döhle klar: Sie will sich für die Belange von Frauen einsetzen: „[…] durch meine Erfahrung im Westen hatte ich gedacht, also die Grünen und was es sonst so gab, […] ist alles ganz wichtig, aber [wir Frauen] sind in der DDR nicht gleichberechtigt. Wir sind auch nicht so selbstbewusst, dass wir das alles packen können, was da kommt. Wir dürfen zwar alle arbeiten gehen, aber im Grunde genommen fehlt uns was.“[1] Am 3. Dezember 1989 fährt sie zur Gründung des Unabhängigen Frauenverbandes in die Berliner Volksbühne. Dann liest Rosemarie Döhle einen Zeitungsartikel mit der Ankündigung eines Frauentreffens am 16. Dezember 1989 im Potsdamer Otto-Nagel-Club. Sie nimmt teil und schließt sich der Arbeitsgruppe „Kontakt mit ausländischen Gruppen“ an: „Und dann ging‘s: ‚Ja, wir müssten ja gucken, was die in Westberlin machen‘ […]. Da habe ich gesagt: ‚Für mich gar kein Problem, ich mach für euch alles, die Koordinierung dahin und organisiere Reisen.‘ Das habe ich dann auch in dem Jahr ununterbrochen gemacht.“[2]

Frauenpolitik wird ihr zweiter Schwerpunkt. Ab Februar 1990 wohnt sie regelmäßig den Sitzungen der Arbeitsgruppe Frauenfragen im provisorischen Regionalausschuss Berlin bei. Rosemarie Döhle lobt die konstruktive Zusammenarbeit mit den „Westfrauen“ in diesem Gremium. Sie habe hier viel gelernt über Frauenrechte, die es im Zuge der Veränderungen zu bewahren oder neu durchzusetzen galt. „Das waren keine Verwaltungsleute, sondern die kamen wirklich […] aus der Praxis, und die wollten was bewegen, und das passte mit dem zusammen, was wir auch machen wollten. Wir wollten auch was bewegen und die haben uns in jeder Beziehung unwahrscheinlich unterstützt“.[3] Im Nachhinein sieht sie diese Zeit als Vorkurs für ihre künftige Tätigkeit im brandenburgischen Landesministerium.

Ihr Terminkalender von 1990 ist wie bei allen in dieser Zeit Engagierten dicht gefüllt: Treffen, Abstimmungsrunden, Konferenzen, Sitzungen…[4] Besonders in Erinnerung bleiben ihr die Vorbereitungen der ersten internationalen Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) der Frauen. Diese findet im Vorfeld des KSZE-Gipfeltreffens in Paris im November 1990 in Berlin statt. Die Teilnehmerinnen mahnen die fehlenden Frauenrechte im Entwicklungsprozess eines gemeinsamen Europas an und formulieren entsprechende Forderungen an ihre Staaten.[5]

Am 1. Dezember 1990 werden Stellen für das neu gebildete brandenburgische Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen ausgeschrieben.[6] Ermutigt von Kolleginnen aus dem Regionalausschuss bewirbt sich Rosemarie Döhle – und kann am 1. Januar 1991 als Referentin für das Gebiet Frauen und Arbeitsmarkt anfangen. Lachend erzählt sie, wie sie in der Bibliothek von Berlin-Zehlendorf gefühlte „drei Meter Bücher über Arbeitsmarkt“ gelesen hat, um sich ein Bild zu verschaffen. Ein großes Problem in der ehemaligen DDR ist die steigende Arbeitslosigkeit von Frauen, insbesondere durch die Liquidation von Großbetrieben. Es gilt, Arbeitsmarktstrategien und Qualifizierungsprogramme aufzusetzen. Rosemarie Döhle baut für das Land Brandenburg Regionalstellen „Frauen und Arbeitsmarkt“ mit auf. Manchen gelingt darüber eine neue Existenz, so wie dem Gärtnerinnenhof in Blumberg bei Ahrensfelde, der aus einer ehemaligen LPG hervorgegangen ist und inzwischen – ökologischen Grundsätzen folgend – von jüngeren Frauen bewirtschaftet wird.[7]

Als der Leiter des Ministerbereiches Arbeit ihr im April 1992 anträgt, in seine Abteilung zu wechseln, zögert sie nicht: „Die Abteilung Arbeit hatte mehrere Millionen damals zur Verfügung […] und [ich] hab gedacht, naja, wenn davon die Frauen profitieren, warum nicht?“[8] Doch irgendwann zieht es sie mehr in den kreativen Bereich. Über das Kultur- und Wissenschaftsministerium wird sie 1999 Verwaltungsleiterin der Gesellschaft „Kulturland Brandenburg“, die zu jährlich wechselnden Themen landesweite Ausstellungen, Veranstaltungen und Lesungen initiiert. 2004 geht sie zurück zum Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und – statt Frauen nun Familie – und ist dort für die Beschäftigungsförderung und Existenzgründung im Kreativsektor zuständig. Dabei richtet sie ihr Augenmerk immer auch auf die Situation von Frauen. Seit sechs Jahren jedoch genießt Rosemarie Döhle ihren Ruhestand – wenn sie nicht gerade ehrenamtlich Kulturprojekte berät.

9. Juni 2021

 

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[1] Interview von Jeanette Toussaint mit Rosemarie Döhle am 26.9.2019.
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] Terminliste, zusammengestellt von Rosemarie Döhle aus ihren Kalendern 1989/90.
[5] Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen Berlin (Hg.): Frauenmacht Europa. KSZE der Frauen. Berlin 1992; https://www.ddr89.de/frauen/frauen16.html (12.6.2020).
[6] Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 401 RdB Pdm Nr. 32968, Stellenanzeige in der Märkischen Allgemeinen Zeitung, 1.12.1990.
[7] https://www.neues-deutschland.de/artikel/502893.von-den-erdbeeren-schwaermen-die-marktkunden-heute-noch.html und https://www.moz.de/landkreise/barnim/bernau/artikel3/dg/0/1/1706425/ (12.6.2020).
[8] Interview von Jeanette Toussaint mit Rosemarie Döhle am 26.9.2019.