Christel Heise (geb. Eitner)

Industriekauffrau, Gemeindepädagogin, Jahrgang 1951

Christel Heise (rechts) und Katherine Biesecke, Caputh 1990 © Jeanette Toussaint

 

Christel Heise fasst die Wendezeit 1989/90 so zusammen: „Je mehr ich jetzt zurückdenke, desto mehr merke ich, es war ein durch und durch verwirbeltes Ganzes. Also es gab da was und dort was und es war alles im Werden. Wie so ein großer Suppentopf der immerzu umgerührt wird. Und manchmal blieben die Kartoffeln am Kohl hängen und dann als nächstes vielleicht die Tomate an der Nudel. Also es war eine absolute chaotische Zeit und dieses Gefühl, dass ich da mitmachen wollte, das war ziemlich stark, so nach dem Motto: Jetzt kann man endlich was tun in diesem Land, jetzt bewegt sich was“.[1]

Die 1951 in Erfurt geborene Christel Eitner kann sich lange nicht für einen Beruf entscheiden, immer wieder geht sie mit ihrer Mutter zur Berufsberatung. Schließlich macht sie eine Ausbildung mit Abitur zum Industriekaufmann, wie es damals heißt. Ort: VEB Robotron-Optima Büromaschinenwerk Erfurt. Danach würde sie gern studieren. Versucht es mit Datenverarbeitung, wird aber abgelehnt, denn sie ist nicht staatskonform. Die junge Gemeinde ist ihr wichtiger als die Pionier- und FDJ-Organisation. So versucht sie es gar nicht erst, sich für ein Theologie- oder Kunststudium zu bewerben.
Nach der Lehre lernt sie ihren Mann Joachim Heise kennen. Sie heiraten 1971 und suchen einen Ort, an dem sie mit weniger staatlichen Vorgaben leben können. Den finden sie 1973 auf der Halbinsel Hermannswerder in Potsdam, wo die Hoffbauer-Stiftung ein kirchliches Oberseminar betreibt. Sie werden Hauseltern für Jugendliche, die dort ihr Abitur ablegen und im Internat leben. Beiden gefällt der offene und humanistisch geprägte Unterricht. Davon inspiriert beginnen sie ein Fernstudium der Gemeindepädagogik und Katechetik am evangelischen Burckardthaus. 1975 wird ihr erstes Kind geboren. Beide beenden das Studium 1978 – und wollen weiter. Ihr Mann fängt beim Kraftverkehr an, sie für kurze Zeit als Sekretärin im Institut für Düngungsforschung, dann kommt 1979 ihr zweites Kind zur Welt. 1985 wird ihr die Stelle einer Katechetin in der Potsdamer St. Nikolaigemeinde angeboten. Sie nimmt die Herausforderung an und ist fortan für die christliche Erziehung von Kindern und Familien verantwortlich.
Mit ihrem Mann und den Kindern wohnt Christel Heise inzwischen am Platz der Nationen (Luisenplatz). Hier findet am 4. November 1989 die große Demonstration des Neuen Forums statt. Da liegen schon einige Monate des Suchens hinter ihr: Im Mai hört sie von den Wahlfälschungen, hat das Gefühl, es passiert bald was. Im September kommt sie durch Ute Platzeck, mit der sie eine Familienfreizeit organisiert, zum Neuen Forum. Aber sie hat nicht das Gefühl, dort gebraucht zu werden. Anders ist das bei der Unabhängigen Initiative Potsdamer Frauen: „[D]a war die Gruppe der Frauen, die gemeint hat, jetzt wird’s aber Zeit, dass wir endlich mal was für uns tun. Ich war davon sehr inspiriert durch die feministische Theologie, die ich [1988] in den Berliner Bibelwochen kennengelernt hatte, und wo ich gemerkt habe, dass auch in der Kirche da vieles im Argen liegt und die männerdominierten Strukturen Frauen einfach nicht dazu kommenlassen, dass sie sich entfalten können.“[2] Die Initiatorin der Fraueninitiative, Dörte Wernick, kennt sie bereits aus dem Frauenbibelkreis, der sich regelmäßig bei Pfarrerin Annette Flade in Babelsberg trifft.

Ihre konkreten Aufgaben in der Fraueninitiative erinnert Christel Heise nicht mehr. Wahrscheinlich ist sie, wie die meisten Mitglieder, immer da, wo es gerade was zu tun gibt. Die erste Enttäuschung folgt nach der Volkskammerwahl 1990. Gern hätte sie das Experiment „demokratischer Sozialismus“ gewagt. Doch nun hat sich der Wind in Richtung Wiedervereinigung gedreht. Trotzdem engagiert sie sich weiter in der Fraueninitiative; und tritt im Herbst 1990 selbst in den Wahlkampf ein – als Direktkandidatin des Unabhängigen Frauenverbandes für die erste Landtagswahl im künftigen Land Brandenburg. An ihrer Seite als Kandidatin für Potsdam: Gabriele Grafenhorst. „Es war schön, dass man’s nicht alleine gemacht hat. […] aber das mit den Wahlen, das musste man ja auch erst lernen und verinnerlichen, wie das funktioniert und wie da die Chancen sind und wie man sich präsentiert“.[3] Am Ende reichen die Stimmen nicht für ein Mandat. Doch Gabriele Grafenhorst erhält eine Stelle im geplanten Frauenministerium des Landes Brandenburg. Auch Christel Heise könnte im Ministerium anfangen, vielleicht im pädagogischen Bereich. Doch sie lehnt ab. Heute weiß sie nicht mehr, war es Angst vor der eigenen Courage oder die Befürchtung, wieder auf alte SED-Kader zu treffen. Sie bleibt lieber in der St. Nikolaigemeinde, inzwischen als Kreiskatechetin. Präsent sein, leiten können, diese Fähigkeiten habe sie sich erst erarbeiten müssen, sagt Christel Heise. Der Kirchenrahmen bietet ihr diese Chance.

Nach der Wahl verlässt sie die Fraueninitiative: „Also ich war mit der Gruppenarbeit und mit der Atmosphäre nicht sonderlich zufrieden. […] Ich kannte das aus meinem Konvent, wenn man was gemeinsam will, dass es dann auch was werden kann. Aber das Gefühl [hatte ich nicht] in dieser Gruppe.“[4] Fruchtbarer ist für sie ab 1992 die Mitwirkung am Brandenburger Modellversuch, das Fach Lebenskunde-Ethik-Religion (LER) in den ostdeutschen Schulen einzuführen und so eine Alternative zum Religionsunterricht zu bieten. Sie ist an der Lehrer*innenfortbildung beteiligt, knüpft damit an ihre Tätigkeit als Katechetin an: „Da konnte ich wirklich über diese Jahre hin was tun und mit meinen Erfahrungen und meinen Kenntnissen da beitragen, dass das was wird.“[5] Brandenburg ist heute das einzige neue Bundesland mit diesem alternativen Lehrfach.

Im Sommer 1997 wechselt Christel Heise nach Werder/Havel. Sie leitet dort 17 Jahre lang den „Treffpunkt“, ein Begegnungszentrum des Diakonischen Werkes Potsdam mit Selbsthilfegruppen, Beratung, Seniorenarbeit und Erwachsenenbildung.
Frauen bleiben ihr wichtig. Zusammen mit einer Kollegin organisiert sie jedes Jahr in der Freizeit eine Frauenbibelwoche. Sie spendet für medica mondiale, eine Organisation, die kriegstraumatisierte Frauen unterstützt.[6] Im „Treffpunkt“ bietet sie Sportkurse an, Musik und Bewegung für Frauen, und findet darüber zum Yoga. Später qualifiziert sie sich dafür zur Kursleiterin. Außerdem beginnt sie wieder zu malen, macht sich zu ihrem 50. Geburtstag selbst ein Geschenk: Ihre erste Ausstellung. Und die findet im „Treffpunkt“ statt.

2014 geht sie in Rente. Noch einmal Ortswechsel und Umzug nach Frankfurt/Oder. Als wir uns treffen, liegt die erste Corona-Welle hinter und die zweite vor uns. Sie darf kein Yoga unterrichten. Auch die anderen Kontakte fallen weg. Da fällt das positive Denken manchmal schwer. Doch seit Sommer 2021 laufen ihre Yoga-Kurse in der Volkshochschule wieder. Bald wird Christel Heise dort auch von ihrem dreimonatigen Aufenthalt 2017 in Südafrika berichten, der sie tief beeindruckt hat. Ein anderer Umgang mit der knappen Ressource Wasser ist nur eine Folge davon.

  1. Januar 2022

Zurück


[1] Interview von Jeanette Toussaint mit Christel Heise am 17.6.2020.
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] Ebd.
[5] Ebd.
[6] https://www.medicamondiale.org/wer-wir-sind/geschichte.html (18.1.2022).